Jud Sueß
dem verärgerten Fürsten watschelt klein, dick und unscheinbar der Geheimrat Fichtel, mit Briefen des Würzburger Bischofs auf zwei Tage in Stuttgart; er steckt kugelig in Pumphosen und türkischem Rock, vergnügt unter dem Fez schaut sein schlauer Kopf, jovial winkt er mit der kleinen, fleischigen Hand dem über die Katholiken raunenden Volk zu.
Eine wackelige, dunkle Kutsche fuhr vor, ein einziger Diener hintenauf in einer ganz alten, ausgestorbenen Tracht; ein langer Herr stieg heraus, merkwürdig lautlos, blaurotes, entfleischtes Gesicht, glitt durch verstummendes Volk ins Portal, der kurpfälzische Geheimrat Dom Bartelemi Pancorbo;der Herzog selbst hatte den widerwilligen Süß veranlaßt, den jetzt auf lange in Stuttgart weilenden Juwelenhändler einzuladen. Dom Bartelemi Pancorbo erschien wie stets, den eingedrückten Totenkopf herausgereckt aus schlotternder, schlecht sitzender, verschollener Hoftracht, er brauchte weiter kein Kostüm.
Pünktlich zur festgesetzten Stunde fuhr die herzogliche Karosse vor. Karl Alexander entstieg ihr, heute nur leicht hinkend, als antiker Held mächtig und imposant: Marie Auguste aber, die Taille dünnstielig aus dem üppigen pfauenblauen Reifrock herauswachsend, den Eidechsenkopf zierlich züngelnd, war die Göttin Minerva. Sie trug eine Perücke diesmal, einen artigen Goldhelm darauf, um die Brust schmiegte sich die Andeutung einer feinen, goldenen Rüstung; ein Page trug ihr den Schild nach, ein anderer die Eule.
Schon wollten die Fanfaren einsetzen, das herzogliche Paar zu begrüßen, schon erschien Süß an der Türe des Empfangssaals, schon rangierte man sich im Saal, als der Herzog im Vestibül verzog. Er hatte an Seite seines Kirchenratspräsidenten ein Mädchen gesehen, groß und schön von Wuchs, im Gewand einer Florentiner Gärtnerin; wie sie, den Mantel abnehmend, sich den riesigen, bebänderten Strohhut zurechtsetzend, auf einen Augenblick die Maske abnahm, sah er männlich kühne, bräunliche Wangen, starkblaue Augen in seltsamem Widerspiel zu dunkeln, dichten Brauen. Er fühlte sich gepackt wie seit Jahren nicht mehr beim Anblick einer Frau, die Beine wurden ihm schwach, ein hohles Gefühl kroch ihm den Magen herauf. Die Herzogin, leicht lächelnd, schickte die flinken Augen von Karl Alexander zu dem Mädchen, das die Larve sogleich wieder vorgenommen hatte. »Ich denke, Euer Liebden, wir sollten hineingehen«, sagte sie. Da kam auch schon Süß, schlank und elegant in sarazenischem Kostüm, sie einzuholen. »Wer ist die Dame?« fragte Karl Alexander. »Die Demoiselle Tochter des Weißensee, supponier ich«, antwortete der Jude, »die Demoiselle Magdalen Sibylle Weißenseein.« Dann betraten die Herrschaften denSaal, tief in die Knie sanken, sich neigend, die Gäste, Fanfaren klangen.
Da die Herzogin Komödie sehr liebte, begann Süß den Abend mit der Aufführung einer kleinen italienischen Oper »Der Wüstling wider Willen«. Die neue Sängerin trat bei diesem Anlaß zum erstenmal auf, Graziella Vitali, eine Napolitanerin, ein kleines, lebendiges Ding, leicht fett, gelbes, hübsches, etwas derbes Gesicht mit zappelnden Augen. Süß hatte sich von ihrer Wirkung auf den Herzog viel versprochen, so was war sonst Karl Alexanders Schlag und Pläsier. Daraufhin hatte Süß auch der Sängerin große Aussichten gemacht, und als sie nach der Komödie dem Herzog präsentiert wurde, strich sie höchst beflissen um ihn herum, bot sich vor aller Augen mit Gesten, Blicken ihm an, nur darauf wartend, daß er sich mit ihr in ein verschlossenes Kabinett zurückziehe. Aber Karl Alexander hatte nur zerstreutes, beiläufiges Interesse für sie, er sagte was wie: Auf später, auf später! Es war offensichtlich, daß ihm für heute eine andere im Sinn lag. Die Napolitanerin hatte alle Mühe, ihre strahlende, beflissene Maske zu wahren, und als sie dann den Süß allein zu sprechen kriegte, sprang sie ihm fast ins Gesicht.
Magdalen Sibylle hatte auch während der Komödie die Maske kaum abgenommen. Hinter ihr, unter dem großen Strohhut, versteckt sie das nervöse, zuckende Gesicht. Sie hat sich gern zwingen lassen, mit dem Vater hierherzukommen; aber jetzt versagt sie. Sie hat die Kraft nicht, den Teufel zu bestehen. Wäre sie nie in diesen Saal gegangen. Sie ist ganz zerrissen und zerstört von der Aufgabe. Wäre sie in Hirsau geblieben. Wäre sie dem Teufel nicht begegnet. Jetzt nagt und kaut sie an dem Bissen und kann ihn nicht hinunterschlucken und ist krank daran. Es war
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