Jud Sueß
Süßischen Dinge, die Ziffer. Je größer Süß sich spreizte, so leidiger füllte ihn Ärger und Unbehagen. Er gestand es sich nicht ein, aber der andere hatte ihn am Seil, der Mann im Kaftan ließ ihn tanzen.
Die Geschäfte beendet und signiert, kam Isaak Landauer diesmal nicht auf den Ravensburger Kindermord zu sprechen, sondern auf eine andere jüdische Historie aus den württembergischen Läuften. Das war die Sache mit dem großen Judenkünstler Abraham Calorno aus Italien – es mochte jetzt gut ein Jahrhundert her sein, unter Herzog Friedrich I. – und seinem Generalkonsul Maggino Gabrieli. Der Herzog hatte diese welschen Juden mit großen Versprechungen ins Land gezogen. Er war von dem aimablen Wesen, der Gelehrsamkeit, dem finanztechnischen Geschick des großen Judenkünstlers wie verhext, er hatte grenzenloses Zutrauen zu ihm, wies alle Beschwerden der Pfaffen und der Landschaft barsch und ungnädig zurück, ja, er verbannte der Juden wegen den Oberpfaffen Osiander aus dem Herzogtum, und Abraham Calorno und die Seinen saßen groß und prächtig in Stuttgart. Aber schließlich endete die Geschichte doch mit Graus und Schrekken, etliche wurden martervoll hingerichtet, der Rest nackt und bloß aus dem Land gejagt, Juden auf lange Zeit nicht mehr ins Herzogtum gelassen. »Nagende Würmer haben sieuns geschimpft«, sagte Isaak Landauer. »Nun ja, nagen sie selber etwa nicht? Was lebt, nagt. Einer nagt am andern. Jetzt seid Ihr dran, Reb Josef Süß. Nagt, nagt, solang sie Euch dalassen!« Und er lachte sein kleines, gurgelndes Lachen.
Als der Mann im Kaftan den unmutig zuhörenden Finanzdirektor endlich verließ, schritt er im Vorzimmer durch das spöttische und grimmige Getuschel Wartender. Unter der Tür begegnete er neuen Besuchern: dem Präsidenten des Kirchenrats, Weißensee, und seiner Tochter. Magdalen Sibylle, wie sie Isaak Landauer sah, hielt ihn für den Süß. So hatte sie sich, schmuddelig und mit Kaftan und Schläfenlöckchen, nach gelegentlichen Judenbildern den kleinen, widerlichen Sendling Beelzebubs ausgemalt.
Dem Prälaten Weißensee hatte Süß, wie er als Präsident des Kirchenrats ihm einen Dankbesuch machte, beiläufig und sehr höflich gesagt, er habe gehört, der Herr Präsident habe eine so aimable Demoiselle Tochter. Es sei nicht wünschenswert, daß der Flor der schwäbischen Damen fern von der Residenz blühe; Ludwigsburg und Stuttgart seien nicht reich genug, daß sie eine Dame der Art entbehren könnten, wie man ihm die Demoiselle Weißenseein schildere. Weißensee schnupperte verbindlich, freute sich an dem ehrenvollen Interesse Seiner Exzellenz. Es war ihm dann leichter gelungen, als er erwartet hatte, seine Tochter zu vermögen, daß sie mit ihm nach Stuttgart gehe, dem Süß aufzuwarten. Sie vermutete in der Aufforderung des Vaters Berufung und Schickung. Wo sonst sollte sie ihre Sendung erfüllen, wo eher dem Teufel wieder begegnen können als bei seinen kleinen Sendlingen, bei dem Herzog und dem Juden? So fuhr sie mit ihrem Vater in die Residenz, wach und in Bereitschaft.
Als sie erfuhr, daß Isaak Landauer nicht der Jude sei, spürte sie leise Enttäuschung und saß in stärker gespannter Erwartung. Sie wurden vor den andern vorgelassen. An dem Lakaien in Haltung vorbei schritt sie vor dem Vater in das Kabinett, sah den Süß, erkannte, daß er der Teufel war, schwankte, sank um. Die Sinne zurück, hatte sie eine dunkle,samtene Stimme im Ohr: »Ich bin desolat, daß der Demoiselle Tochter der Akzident zustößt, just wie sie das erstemal meine Schwelle passiert.« Ihr Vater erwiderte etwas. Ein Riechfläschchen wurde ihr unter die Nase gehalten. Jetzt nicht die Augen aufmachen, jetzt nicht gezwungen sein, ihn zu sprechen, ihm ins Aug zu schauen. Wie sie endlich wohl oder übel lebendig werden mußte, sah sie Beelzebubs Augen, die fliegenden, heißen, gewölbten, um ihre Brust, ihre Hüften gleiten, und sie schämte sich wild und gekitzelt.
Süß hatte das Mädchen in ihrer Schlaffheit auf und ab gesehen, er sah, daß sie schön war, ungebraucht, voll Saft. Ihre Ohnmacht, der ungeheure Eindruck, der offensichtlich von ihm zu ihr ging, war ihm nach der ungemütlichen Unterhaltung mit Isaak Landauer Labsal und große Bestätigung. Wie sie lag und atmete! Wie bräunlich blaß und männlich kühn das Gesicht geschnitten war, wie erregend der Schwung der starken Brauen. Während Lakaien nach Essenzen liefen, nach einem Arzt, überlegte er, ob er es wagen solle, ihr das
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