Jud Sueß
Mieder zu öffnen. Mit Weißensee, dem alten, servilen Höfling, brauchte man nicht viel Umstände zu machen.
Aber da schlug sie die Augen auf, starkblau in seltsamem Widerspiel zu dem dunklen Haar. Er richtete sie vollends hoch, glitt mit Blick und Tonfall und sanfter Berührung streichelnd, ergeben, galant, demütig um sie herum, brauchte alle geölte Kunst seiner langen Übung. Über das holperichte Gestammel des Mädchens, das die verwirrten Augen aus dem bräunlich fahlen Gesicht drohend halb, halb gezogen auf ihn hielt, breitete er seine gewandte Konversation. Stellte Sänfte, Wagen, Arzt zur Verfügung. Hielt den sich verabschiedenden Präsidenten mit keinem Wort zurück. Geleitete selbst durch die ehrfurchtsvoll grüßende Antichambre Magdalen Sibylle stützend vors Haus an den Wagen. Während sie die Eingangshalle durchschritten, kreuzte sie die Sophie Fischerin. Faul schleifte das blonde, üppige Geschöpf durch den Raum, äugte neugierig, schief, gehässig nach Magdalen Sibylle.Vor dem Haus in der Seegasse gaffendes Volk. Nacht, trübes Gemisch von Regen und Schnee, Windstöße, die Kleider unbehaglich um die Glieder peitschend. Die Leute stehen gepreßt, harren aus, schauen zu, wie die Karossen vorfahren, leuchtend, lärmend durch die Nacht, zur Redoute des Süß.
Pechpfannen flackern am Eingang. Alle Fenster strahlend. Weit auf das Tor, weinrot ragend der Huissier mit seinem Stab, drei Lakaien zum Öffnen der Wagentüren.
In rascher Folge die Kutschen. Es ist keiner der öffentlichen Bälle, an denen Süß verdienen will, wo er durch Listen kontrollieren läßt, wer von Hof, Beamtenschaft, Volk fehlt. Hat er durch seine öffentlichen Feste der Haupt- und Residenzstadt Stuttgart einen rauschenderen Karneval aufgezwungen als je zuvor, sie genötigt, bei diesen Redouten auf einen Sitz für seine Tasche mehr Geld zu verbrauchen und zu verbrausen als sonst in Wochen, so sollte dieser intime Maskenball lediglich der privaten Schaustellung seiner Größe und seines Glanzes dienen. Nur die ersten Herren, nur die schönsten Damen aus der Umgebung des Herzogs waren zu diesem Fest geladen.
Hinter den Leibhusaren des Süß, hinter den städtischen Bütteln reckt sich das Volk die Hälse aus, unter den Mänteln der Aussteigenden etwas von den Kostümen der Gäste zu erspähen. Anlangen die Minister, die Generäle, der Hof. Sehr hager und die Hakennase doppelt mächtig über der spanischen Halskrause seines Grandenmantels der Geheimrat Schütz. Aber Remchingen, hochrot und massig, schwitzt schon in der Kutsche im dicken, pelzigen Rock seines Bojarenmantels. Seine Laune wird noch knurriger, wie er im Tor mit Herrn von Riolles zusammentrifft, einem jener vagierenden Kavaliere, die, an allen Höfen zu Haus, den Klatsch der internationalen Hocharistokratie durch Europa tragen, Verwalter und Makler des mondänen Rufs der großen Gesellschaft. Ein paar Weiber pruschen heraus, selbst die Polizeisoldaten müssen grinsen, wie sie den mageren, kleinen, zappeligen Herrn sehen, der einen Chinesen darstellt, doch ohneauf die Allongeperücke zu verzichten. Er sieht auch gar zu possierlich aus, wie er zwerghaft, mit dem lasterhaften, vergreisten Knabengesicht neben dem wuchtigen Remchingen einhertrippelt. Der General klirrt massig und imposant neben dem kleinen, geckigen Welschen; aber er weiß, die Herzogin wird, sei es aus Lust an Abwechslung, sei es, um ihn wütig zu machen, heute wie immer in den letzten Tagen den albern schwatzenden Franzosen ihm vorziehen.
Zu Fuß drängt sich der Landschaftskonsulent Neuffer durch das Volk, undefinierbar von Tracht, düster und scharlachfarben; Gemurr und Schimpfworte folgen ihm; er ist neben Weißensee der einzige Parlamentarier, der geladen ist. Ihn überholt die vornehme, sorglich alles Auffällige meidende Karosse des alten Fürsten Thurn und Taxis. Der Fürst ist gestern zu Besuch aus Regensburg eingetroffen; sein magerer, eleganter Windhundschädel hebt sich aus dem weinroten Kostüm eines genuesischen Nobile, er freut sich darauf, diese Tracht, in der er besonders schlank erscheint, zum erstenmal vorzuführen. Aber er hat offenbar Pech mit diesem verdammten Juden. Hat damals in dem Schlößchen Monbijou der blaßgelbe Salon seinen blaßgelben Rock geschlagen, so hat jetzt diese hebräische Bestie ihre ganzen Domestiken in Weinrot gesteckt, so daß man ihn, den Fürsten, für einen Lakaien halten muß, daß jedenfalls sein weinrotes Kostüm um allen Effekt gebracht ist. Doch neben
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