Judassohn
musste Hände aus Stahl haben.
Ich hätte doch Vorsicht walten lassen sollen.
»Wahrlich ein Kind deiner Mutter. Ich bin Marek Illicz und ein Wesen wie du.« Er sah überlegen auf ihn herab und wies ihm die spitzen, langen Zähne. »Und dein Halbonkel.«
Dominic kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Ihr … du …« Er wusste nicht, wie er den Fremden ansprechen sollte. Sein eingerenkter Unterkiefer tat bei der kleinsten Bewegung weh.
Was ist das für eine wilde Geschichte? Mein Halbonkel?
»Ich habe dich lange beobachtet, Dominic. Du bist eine Schandevon einem Judassohn! Deine Kräfte geben dir die Möglichkeit, diese Wandelwesen mit Donner und Blitz zu vernichten oder sie mit deinen Klauen zu zerschlitzen. Und
du? Was
tust du?« Marek schnaufte verächtlich. »Man merkt, dass du niemals unterrichtet worden bist. Du beherrschst nicht einmal annähernd das, was du können müsstest!«
Woran unterscheidet man einen Wissenden, der die Wahrheit spricht, von einem Wahnsinnigen, der lügt?
Dominic erhob sich unsicher. »Monsieur, Ihr habt mich verfolgt?«
»Lass dieses französische Getue!«, herrschte Marek ihn an. Dominic schätzte ihn auf Anfang dreißig, und seine Haltung, seine Art zu laufen drückten gelassene Vornehmheit selbst unter diesen Bedingungen aus. »Deine Seele gehört nicht nach Frankreich. Ich bin dir erschienen, um dich nach Hause zu holen.«
»Nach Hause.« Dominic reichte ihm den Silberdolch zurück, auf dessen Parierstange ein kleines Emblem eingeschlagen war: drei gekreuzte Dolchpaare, eins über zwei anderen. »Ich komme aus der Auvergne …«
»Du bist ein Judassohn!«
Marek packte ihn an den Haaren, riss ihm ein Büschel aus. Sofort färbten sie sich zwischen seinen Fingern rot. »Wieso leugnest du es?«
»Weil schwarz mir besser gefällt!«, gab Dominic zurück. Er hatte seinem Schopf seit Jahren eine andere Couleur gegeben. Ein Teil von ihm glaubte dem Vampyr, ein anderer Teil fand die Vorgänge einfach zu unglaublich, um sie für bare Münze zu nehmen. Ihm fielen zehntausend Fragen ein. »Und deine Perücke? Was soll das?«
»Es ist das Zeichen unseres Standes«, erwiderte Marek. »Sobald du in der Cognatio als mein rechtmäßiger Eleve angenommen wurdest, wirst auch du eine tragen dürfen. Zuerst eine kleinere, aber eines Nachts …«
»Cognatio? Was ist das? Von was redet Ihr?« Dominics Zweifelerstarkten. »Ihr wollt mein Halbonkel sein? Ihr seht mir nicht einmal ähnlich!«
»Hör mir zu«, knurrte Marek ihn an, der sichtlich ungeduldig wurde. »Hast du dich niemals gefragt, weswegen du zum Vampyr geworden bist?«
»Weil ich durch einen Unfall starb. Der Volksglaube über Vampyre besagt …«
Marek lachte ihn aus, das Echo hallte laut im stillen Wald. »Unsinn! Weil deine Mutter eine von uns war. Sie verriet die Kinder des Judas und flüchtete vor unserer Rache nach Frankreich. Du bist einer ihrer Nachkommen, Dominic, und hast den Vampyrkeim von Geburt an in dir getragen. Mit deinem Tod ging er auf, erblühte und machte dich zu etwas Höherem unter den Blutsaugern.« Er packte ihn bei der Kehle, das Blau seiner Augen schimmerte erbarmungslos. »Wirst du nun mein Eleve, mein Schüler werden?«
»Weswegen?«, krächzte Dominic und umklammerte den Arm mit beiden Händen. Er vermochte den Griff nicht zu sprengen.
»Um mächtig zu werden und ewig zu leben?«
Dominic verspürte nicht die geringste Lust dazu, mit diesem halbverrückten Vampyr zu gehen, der mit rätselhaften Begriffen um sich warf, als bekäme er Geld dafür. Er öffnete die Lippen für ein
Nein
.
»Bedenke«, schnarrte Marek, »dass eine Ablehnung deinen Tod bedeutet. Ich habe deine Mutter gehasst. Mir würde es leichtfallen, dich zu töten, kleiner Judassohn. Nur durch meine Gnade wirst du unter Umständen ewig leben.«
Dominic schluckte das Nein und würgte stattdessen ein Ja hervor. Diesem Vampyr, in dessen Augen er den Wahnsinn gesehen hatte, traute er alles zu. Einen gänzlich ungekannten Wahn.
Wie viel Wahrheit darin enthalten ist, muss ich noch herausfinden.
Unverzüglich ließ sein Halbonkel ihn los. »Sehr gut, Dominic.Sehr gut.« Er klopfte ihm auf die Schulter, die Hinterlist stand auf seinen Zügen. »Du wirst ein prachtvoller Eleve und gut in die Cognatio passen. Wir machen uns gleich auf die Reise.« Er lenkte ihn mit sanfter Gewalt zur zerborstenen Kutsche zurück und drehte eine leise jammernde Frau mit dem Stiefelabsatz auf den Rücken. »Stärke dich. Ich lasse sie dir.« Er zwinkerte.
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