Judassohn
in eine schmale Lücke zwischen den Bäumen.
Die Kutsche zerschellte regelrecht unter ihm an den Tannen, die Trümmer flogen zusammen mit den Koffern und den Menschen weit umher. Die Pferde rannten weiter und schleiften die Überbleibsel hinter sich her, hielten nicht an.
Dominic rollte sich über die Schulter ab und spürte, dass er dabei seinen Silberdolch aus der Halterung verlor.
Nein! Er ist das einzige Mittel gegen sie!
Fahrig tastete er im aufgewirbelten Schnee umher. Auf das Stöhnen der verwundeten Reisenden achtete er nicht. Sein eigenes Leben war mehr in Gefahr, sie mussten auf sich selbst achten. Dass Dominic einmal eine solche Todesfurcht verspüren würde, hätte er nicht für möglich gehalten.
Wo ist der Dolch? Wo …
Er hörte das Hecheln und das Trappeln der pfeilschnellen Pfoten ganz nahe. Dominic hob den Kopf – und sah sie.
Der rotbraune Wolf stand erhöht auf einem Überrest der Kutsche, der weiße kam rechts, der schwarze links um das Wrackteil herum; dabei erhoben sie sich auf die Hinterläufe.
Es krachte und knackte, sie wuchsen in die Höhe und bekamen eine menschliche, kräftige Statur. Die Werwölfe gingen für den bevorstehenden Kampf in ihre Mischform aus Mensch und Bestie über. Nur ihr Anführer blieb ein scheinbarer Wolf. Ein Wolf mit rot glühenden, pulsierenden Augen.
Was mache ich jetzt?
Dominics Körper war vor Furcht gelähmt. Er kauerte im Schnee und dachte kurz daran, einen Baum zu erklimmen, doch sie würden ihm mit Leichtigkeit folgen. Mit den kräftigen Muskeln und scharfen Nägeln wäre es ein Kinderspiel.
Sie kamen näher, knurrten und zeigten die vielen Fangzähne, gegen die seine Reißer beinahe harmlos wirkten.
Es knallte laut.
Dominic zuckte zusammen, und der schwarze Werwolf kläffte leidend auf. Blut rann in Herzhöhe aus seiner Brust, das Loch qualmte. Mit einem leisen Heulen fiel er in den rotgesprenkelten Schnee und wandelte sich zurück in einen Menschen.
Silbergeschosse! Ich habe einen Retter!
Dominic schöpfte Hoffnung und sah sich um.
Seitlich auf dem Weg stand ein Mann, der eine zweite Pistole hob und auf den weißen Loup-Garou anlegte; die andere Waffe rauchte noch.
Der Schuss ging los.
Der Werwolf tauchte ab, sprang hinter die Kutschenreste in Deckung. Der rotbraune Wolf war verschwunden.
»Hier«, rief der Mann mit akzentbehaftetem Französisch und schleuderte etwas nach Dominic. Er fing es auf und hielt einen langen silbernen Dolch in der Hand. »Achte auf die Umgebung!« Der Mann lud die Pistolen in aller Ruhe nach. »Aber ich denke nicht, dass sie zurückkommen werden. Sie haben verstanden, dass ich sie töten kann.« Er ging durch das Trümmermeer auf ihn zu.
Der lange Mantel wehte dabei leicht, auf dem Kopf saß eine sich hoch auftürmende Weißhaarperücke, wie sie Dominic noch nie gesehen hatte. Das Gesicht konnte man aristokratisch und ansprechend nennen, sofern er es einschätzen konnte. Zumindest war er nicht hässlich.
Bei aller Freude und Erleichterung blieb Dominic auf der Hut. Das Auftauchen des Mannes war zu unvermittelt geschehen, um normal zu sein.
Leises Knurren warnte ihn. Der weiße Loup-Garou hatte seine Wolfsform angenommen und pirschte geduckt auf den Unbekannten zu.
»Attention, Monsieur«, rief Dominic und wies dahin, wo sich der Angreifer verbarg. »Le voilà!«
»Merci.« Der Mann schoss unverzüglich.
Die Kugel durchschlug das Holz und verletzte die Schnauze der Bestie, die daraufhin aufjaulte und in die andere Richtung davonsprang.
Dem Tode entronnen! Ein Hoch auf den Kerl, wer immer es ist!
Dominic erlaubte sich ein vorsichtiges Durchatmen, während sein Retter auf ihn zutrat. Harte blaue Augen musterten ihn kritisch. »Monsieur, ich weiß gar nicht, wie sehr ich Euch danken soll!« Er hob den Arm, um ihm die Hand zu schütteln. »Euch hat der Himmel geschickt! Ein Werwolfjäger, zur rechten Zeit am rechten Ort!« Die über ihn hereinbrechende Euphorie brachte ihn zum Lachen und nahm ihm jegliches Misstrauen. »Monsieur, Ihr seid mein Held! Ihr habt mein Leben vor den …«
»Schweig! Du wirst verstanden haben, dass unser Zusammentreffen kein Zufall ist«, sagte der Unbekannte mit angenehmer Stimme. »Ich sage es dir frei heraus:
Du
bist eine
Enttäuschung!«
Bevor der verdutzte Dominic etwas erwidern konnte, erhielt er eine Ohrfeige obendrein, die ihn rücklings in den Schnee warf. Sternchen tanzten vor seinen Augen. Die Wucht hatte ihm den Kiefer aus dem Gelenk gedroschen. Es schmerzte. Der Mann
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