Judassohn
»Sie ist noch Jungfrau und wird als eine solche sterben.« Er lachte kurz. »So ein tugendhaftes brünettes Ding. Hat sich aufgespart für dich.«
»Woher kennst du …«
»Ich sagte, dass ich dich beobachtet habe, lieber Neffe«, fiel er ihm harsch ins Wort. »Trink jetzt! Ich suche mir ebenfalls etwas. Danach folgt deine erste Lektion.« Als er sah, dass Dominic unsicher war, schlitzte Marek der Frau die Kehle mit einem Dolchhieb auf.
Ihr Schrei ging in einem Röcheln unter, sie fasste sich mit einer Hand an den Hals, um die Blutung aufzuhalten; der andere Arm war gebrochen, nutzlos. Zwischen ihren schwachen Fingern quoll das Rot hervor. Der warme Geruch weckte Dominics Gier. Lebenskraft …
»Willst du es vergeuden? Solch ein kostbares Blut.«
Schnell setzte Dominic den Mund auf die Wunde und sog. Die junge Frau schmeckte herrlich und unvergleichlich!
Es gab schon einen Grund, warum ich Jungfrauen bevorzugt habe.
Während der Strom versiegte, die letzten süßen Tropfen über seine Lippen rannen und Dominic sich aufrichtete, ahnte er, dass eine neue Zeitrechnung für ihn begonnen hatte. Er wollte so viel wissen! Über die Cognatio, über die Kinder des Judas – und über seine Mutter. Er erhob sich.
Marek hielt die andere Frau locker mit einer Hand am Mantel und trank im Stehen aus ihrem Hals. Dann ließ er sie achtlos fallen. Er sah grinsend zu ihm, leckte sich das Blut von den Lippen.
Dominic fühlte genau, dass er seinen Halbonkel nicht ausstehen konnte.
Das wird sich auch nicht ändern.
März 1790,
nahe Požarevac (serbisches Gebiet)
Ein wahrer Abstieg.
Dominic starrte auf sein neues, düsteres Zuhause, auf das sie die letzten Schritte zuritten. Die Pferde hatten sie unterwegs in einer kleinen Stadt gestohlen, um schneller vorwärtszukommen.
Das Gebäude bestand aus Holz, hatte massive Fachwerkbalken eingesetzt und kaum steinerne Wände. Zwei kleine Türmchen, die aus dem Holzschindeldach ragten, sollten dem Ganzen einen herrschaftlichen Hauch geben, doch Dominic fand es beinahe bemitleidenswert. Daran änderten auch die beeindruckende Größe, das dunkle Holz und die kunstvollen Schnitzereien nichts.
»Es ist kein feiner Palast, aber mein Eigentum.« Marek hatte ihm wohl angesehen, dass er mit der Unterkunft nicht einverstanden war.
Daraus hatte Dominic kein Geheimnis gemacht, seit er das Anwesen erblickt hatte. Doch noch schwieg er.
Sie hielten die Pferde vor den Stufen nach oben an und stiegen ab.
Marek ging voran und öffnete die Doppelflügel mit einer kraftvollen Bewegung, trat ins Innere. Warmer Lichtschein fiel ins Freie.
»Komm nur herein, mein Schüler! Was kann man sich mehr wünschen?«
Du meine Güte. Eine triste Bude.
Dominic folgte seinem Halbonkel mit wenig Begeisterung.Ein rascher Blick genügte ihm für sein Urteil. »Mir fehlen der Marmor und der Stein, die Säulen und herrschaftlichen Treppen. Es erinnert mich an … diese kleinen Landhäuschen, die der verarmte Adel bei uns in Frankreich besitzt«, sagte er beiläufig und fuhr mit dem Finger über den Tisch. Die Kuppe hinterließ einen langen Strich in der dünnen Staubschicht. »Sauberer könnte es zudem sein.«
»Dann putze«, knurrte Marek verstimmt und bellte zwei Namen durch den hohen Raum, in dem seine herrische Stimme widerhallte.
Dominic hatte sie nicht verstanden und konnte nicht einmal sagen, ob sie Männern oder Frauen gehörten. Er sah sich nochmals um. Dafür, dass das Haus von außen wie eine heruntergekommene alte Villa ausgesehen hatte, befand es sich im Innern in einwandfreiem Zustand. Sein Geschmack war es jedoch nicht. Die Scheiben waren schwarz gestrichen und mit Läden versehen, damit tagsüber kein Sonnenlicht hereinfiel. »Wie hältst du dir die Störenfriede vom Leib, Oheim?«
Marek lachte leise und mitleidig. »Indem ich sie vorher töte.« Er zog die Handschuhe von den Fingern. Es sah überlegen aus. Wie alles, was er tat. Eine gänzlich andere Attitüde: die Arroganz des Stärkeren.
Dominic bewunderte und hasste es zugleich, weil er selbst zum Opfer dieser Haltung wurde.
Marek hatte ihm unterwegs von der Cognatio berichtet. Daraus ergab sich ein eindeutiges Bild. Sein Halbonkel sah sich gegenüber allen anderen Geschöpfen als besser an, auch gegenüber manchem Baron. Barone, das hatte Dominic unterwegs gelernt, nannten sich die ranghöchsten Vampyre innerhalb der Cognatio. Danach kam für Marek lange nichts, dann die Eleven, die irgendwann Barone wurden, sobald ihr Mentor verstorben
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