Judassohn
sehr vorhersehbar und gar nicht gezielt vor. Es war schlichtes Fuchteln, frei von jeglicher Eleganz oder Kampfkunst. Der Baron sah sich um, hielt das Schwert am ausgestreckten Arm vor sich. »Wie … hast du das gemacht? Was, bei allen Dämonen, bist du?«
Sandrine kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. An den suchenden Blicken ihres Gegners erkannte sie, dass er sie nicht wahrnahm!
Jetzt bin ich auch noch … unsichtbar?
Der Baron schlug wieder aufs Geratewohl in die Luft, um sie zu treffen. Es bereitete ihr keinerlei Mühe, den Hieben auszuweichen, die ungefähr in ihre Nähe kamen. Er brüllte und zeigte die Reißzähne.
Octavius hatte recht! Ich beherrsche tatsächlich die verschiedensten Kräfte!
Aus einer Eingebung heraus stieß sie sich ab und – schwebte nach oben, bis unter die Decke.
Es war ein anderes Gefühl als die Windgestalt, eher eine Leichtigkeit, die sie wesentlich besser durch die Kraft ihrer Gedanken zu steuern vermochte. Sie kreiste raubvogelgleich über dem verunsicherten Baron, der immer noch Schläge gegen das Nichts führte.
Das ist wundervoll!
Sandrine drückte sich mit den Füßen von der Decke ab und stürzte sich auf ihren Feind. Sie warf ihn um, kniete auf ihm.
Dann packte sie ihn mit der Rechten an der Kehle und schlug die Finger in sein Fleisch, um ihm die Gurgel herauszureißen; die Linke fing seinen Schlag mit dem Hornschwert ab. Ein harter Ruck, und der Baron büßte die Hälfte seines Halses samt Kehlkopf ein. Sein Blut tünchte sie rot. Sandrine wurde teilweise sichtbar.
»Du bist ein Niemand!« Sie entwand ihm das Schwert mit der gleichen spielerisch anmutenden Leichtigkeit, wie sie ihm die Kehle aufgerissen hatte. »Siehst du, dass du kein Mittel gegen mich hast?« Sie rammte ihm die Klingenspitze von unten durchs Kinn, so dass sie aus dem Kopf geschossen kam. Der Baron starrte sie aus weiten Augen an. »Du bist ein Niemand!«, schrie Sandrine und stieß ein hysterisches Lachen aus.
Die Symbole auf der Klinge leuchteten plötzlich auf. Das Strahlen drang durch die Haut des Vampirs und beleuchtete sein Gesicht von innen heraus, mit all den Blutgefäßen und Knochen. Er kreischte und versuchte, das Schwert aus seinem Schädel zu ziehen.
Was passiert mit ihm?
Sandrine warf sich nach hinten. Sie stützte sich mit den Händen ab und trat mit beiden Füßen gleichzeitig unter das Kinn desVampirs. Der harte Tritt riss dem Baron den Kopf ab und schleuderte ihn quer durch den Bildersalon, einen breiten roten Strich hinter sich herziehend.
»Ich habe dich besiegt!« Sandrine erhob sich und hätte in diesem Augenblick Berge mit der bloßen Faust zerschmettern oder die Sonne vom Firmament reißen können. »
Ich
habe
dich
besiegt, Judasssohn!« Sie lief zum Kopf, packte den Schwertgriff und hob ihn damit in die Höhe. Das Leuchten hatte aufgehört, der Lebenssaft des Vampirs lief über ihre Hand den Arm hinab.
Ich habe mein Versprechen gehalten. Du bist Vergangenheit!
Sie vollführte eine schwungvolle Bewegung, und der Schädel wurde davongeschleudert. Sie fühlte sich befreit und gelöst.
»Sandrine!«, hörte sie Anjanka sorgenvoll von draußen rufen. »Bitte, sag …«
»Alles ist gut!« Sandrine eilte auf die Tür zu, griff im Vorbeigehen die Silberhülle und steckte das Schwert hinein. »Hier! Hier bin ich«, jauchzte sie. »Ich habe beide umgebracht. Stell dir das vor,
beide!
Und ich vollbringe die herrlichsten Dinge!« Sie erreichte den Gang, wo die Tenjac vor dem Bildersalon ausgeharrt hatte, und schloss sie in die Arme, nackt und blutverschmiert. »Alle sind tot, Geliebte!« Sandrine konnte nicht anders, als sie leidenschaftlich auf den Mund zu küssen. Selten war sie sich lebendiger vorgekommen. Wären die Umstände anders gewesen, sie hätte sich sofort mit ihrer Geliebten in die Kissen begeben.
Anjanka drückte sie an sich. »Ich bin glücklich, dass dir nichts geschehen ist!« Es schien, als könnte sie nicht glauben, was sie da vernahm.
»Komm! Sieh dir sie an!« Sandrine zog sie nach vorne und zeigte in den Raum, wo die Leichen der beiden Vampire lagen. »Octavius: tot. Dieser … Baron, das Kind des Judas: tot!« Sie lachte wieder überglücklich.
Anjanka schaute auf die blutigen Überbleibsel. »Du bist einmalig, mein Herz«, sagte sie begeistert. »Wie hast du …«
»Ich kann mich unsichtbar machen, ich kann fliegen, ich bin schneller und stärker als die anderen, und ich … ich …« Sandrine wusste gar nicht, wo sie anfangen und wo sie aufhören
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