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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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wirklich am Leben gelassen?
    »Monsieur Vignon, ich bin sofort bei Ihnen!«
    »Mademoiselle Sandrine«, rief er schwach, »hier hinten bin ich. Man hat mich überfallen und …« Er hustete. »… zerkratzt. Mon dieu, ich sehe aus, als hätte sich ein Rudel Wildkatzen über mich hergemacht.«
    »Ich habe den Räuber gestellt«, gab sie grinsend zurück und ging an der kopflosen Leiche vorüber ins Lager. »Aber er ist leider tot, Monsieur.« Sie sah Vignon vor dem Regal mit dem Essig auf dem Boden sitzen und sich den Hals halten. Blut rann zwischen den Fingern hervor.
    »Zeigen Sie mal.« Der Durst entstand wie von selbst, von einem Blinzeln auf das nächste. Mächtig, begehrend, schwer im Zaum zu halten. Sandrine schluckte den Speichel hinab, der ihren Mund flutete.
    »Nur ein Kratzer. Sonst wäre ich schon lange verblutet.« Vignon ließ sich von ihr auf die Beine helfen. »Ach du Schreck! Sie sind ja auch voller Blut!«
    »Es ist vom Räuber. Ich …« Sandrine schaute auf das Rot, das sachte an seinem Hals entlanglief und unter dem Kragen verschwand. Sie streckte den Arm aus, ihr Zeigefinger rieb über die Haut und nahm von dem Blut auf. Vignon blickte sie fragend an.
    Frisch und warm.
    Ihr Verlangen nach dem Lebenssaft war nicht länger kontrollierbar. Die Gelegenheit war ungeplant, doch günstig, wie ihr die Gier zuflüsterte. Sandrine leckte ihren Zeigefinger ab und schloss genießend die Augen.
    Ich muss die Gegend ohnehin verlassen. Und der Schuldige fürs Volk liegt tot im Laden.
    Die Ausrede war gefunden.
    »Verstehen Sie das, was ich tue, als größte Wertschätzung, Monsieur Vignon.« Sie hob die Lider und öffnete den Mund, die Zähne fuhren aus.
     
    Sandrine machte sich unsichtbar und flog in Windeseile nach Hause, um nach Anjanka zu sehen.
    Was mache ich, wenn sie ihr etwas angetan haben?
    Als sie die Tür mit pochendem Herzen aufstieß, saß ihre Geliebte am Tisch, umgeben von Büchern und vielen losen Blättern, auf denen sie sich Dinge aufgeschrieben hatte. »Du bist früh zurück. Gab es dieses Mal keinen leckeren Wein bei Monsieur Vignon?«, fragte Anjanka, ohne aufzuschauen. Sie sah konzentriert auf die Seite, vor ihr lag ein Blatt Papier mit vielen durchgestrichenen Bemerkungen. »Aber ich freue mich dennoch, dich zu sehen.«
    »Nein. Keinen Wein«, antwortete Sandrine. Die Wahrheit verschwieg sie. »Wir müssen gehen.«
    Jetzt hob Anjanka neugierig den Kopf. »Wohin denn? Ist ein Fest in Tarascon?«
    »Weg von hier. Zwei Boten der Cognatio haben mir bei Vignon aufgelauert. Einen habe ich mit einer Nachricht zu ihnen zurückgeschickt.«
    Die Tenjac sackte zusammen und legte den Federkiel zur Seite. »Wir hatten es zu schön hier«, hauchte sie. »Wir werden immer auf der Flucht sein, nicht wahr?«
    Ich will sie nicht so traurig sehen!
    »Nein. Ich habe mir Gedanken gemacht. Wir müssen etwas tun, womit sie nicht rechnen: Wir gehen auf eine Insel.«
    Anjanka lachte, bis ihr auffiel, dass Sandrine es ernst gemeint hatte. »Wie soll das gehen? Du kannst kein fließendes Wasser überqueren«, begehrte sie auf. »Es wird dein Ende sein, wenn du versuchst, über das Meer zu gelangen!« Sie nahm ihre Hand.
    Sie ist immer nur um mich besorgt und denkt viel zu wenig an sich. Sie ist das Beste, was mir passieren konnte.
    »Mag sein. Der unbezahlbare Vorteil ist: Dahin können uns die Kinder des Judas nicht folgen.« Sandrine langte in die Tasche und holte ein zerknülltes Journal hervor. »Das habe ich bei Vignon gefunden. Und ich will es wagen!«
    Anjanka ließ ihre Hand los und überflog den Artikel, in dem es um ein Boot ging, mit dem man unter Wasser reisen konnte. Ihre Augen wurden immer größer. »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Mein
voller
Ernst.« Sandrine trat an den Tisch und packte die kostbaren Bücher zusammen, schlug sie in Wachspapier ein, damit sie vor Feuchtigkeit und Regen sicher waren. »Überlege: Die Einschränkung verlangt, dass ich mich nicht
über
fließendes Wasser
hinweg
bewege. Aber ich fahre damit
unter
Wasser. Verstehst du?«
    »Natürlich verstehe ich. Und … wenn es keine Lücke im Fluch ist und du stirbst?«
    »Daran glaube ich nicht. Ich habe die Schwachstelle entdeckt. Du nimmst das Schiff.«
    Wenn sie nicht immer so zaudern würde!
»Woher willst du das Boot denn nehmen?« Anjanka zeigte auf die Zeilen. »So etwas haben sie in Amerika, und nicht bei uns.«
    »Ich lasse es anfertigen. Es ist genau beschrieben, wie der Tauchapparat funktioniert«, erwiderte Sandrine und

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