Judassohn
und die Denkweise der Gesetzlosen ändern sich kaum. Nur die Mode.
Harm betrat den Raum und begab sich an den Kopf der Tafel. Die beiden Gruppen saßen sich gegenüber und starrten sich feindselig an. Einige packten Organizer auf den Tisch, als wären es Präsente. Das Leuchten der Displays verriet, dass unentwegt Nachrichten eingingen.
Ohne Technik läuft auch dieses Geschäft nicht mehr.
»Einen guten Abend Ihnen allen«, sagte Harm, ohne zu lächeln. »Schön, dass Sie sich friedlich verhalten haben. Das erspart mir eine Menge Arbeit und einen neuen Raumanstrich.« Er ließ seine Worte wirken, dann setzte er sich. »Folgendes: Ich weise Ihnen zu, wer welche Teile des Drogenhandels bekommt und wie viel er dafür an mich abgeben muss.« Er nahm sein schwarzes Notizbuch aus der Innentasche, die andere Hand drückte den in der Platte eingelassenen flachen Knopf. Sämtliche Handys piepsten ihre Fehlermeldungen hinaus. »Sie können Ihre Geräte ausschalten. Mein Störsender unterbindet den Empfang.« Er lächelte kalt, ohne Kappe und Brille abzulegen. »Fangen wir bei A an. A wie Amphetamin.«
Zwei Stunden später verließen die Russen und die Japaner den Raum und waren den Gesichtern sowie dem Lachen nach zufrieden.
Harm folgte ihnen. Kaum war das letzte Wort gefallen, beschäftigte er sich mit Illicz und dem Gesicht der Frau, das ihn nicht mehr losließ. Stevens schüttelte er im Vorbeigehen die Hand und verließ das
Bunnock
so schnell, wie er es betreten hatte.
Ich muss mich erinnern!
In einer rasenden Fahrt ging es zurück zum
One Canada Square
. Er wollte den Mustang nicht vor dem Club geparkt lassen, sonst hätte er sich unsichtbar gemacht und wäre geflogen, um unverzüglich zu seinem Computer zurückzukommen.
Aber der vergleichsweise lange Rückweg in sein Apartment brachte ihn dazu, sich zu einem Besuch in Leipzig durchzuringen und Illicz selbst verfolgen zu wollen. Harm stieg aus dem Wagen und eilte in den Fahrstuhl.
Wenn sich die Gelegenheit bietet, werde ich ihn töten. Er und die Cognatio haben mich damals in Tarascon durch die Boten mit dem Tod bedrohen lassen, und das habe ich nicht vergessen.
Der Gedanke, den mächtigen Baron zu vernichten, gefiel ihm immer besser. Mit jedem Stockwerk, das an ihm vorbeihuschte.
Er stürmte in seine Wohnung, schaltete den PC ein und wartete ungeduldig, bis das System so weit war. Der Anblick von Londons Lichtern und dem schwarzen Band, das die Themse war, konnte ihn nicht beruhigen.
Hastig klickte er sich durch die Aufnahmen, in seinem Postfach landeten zudem neue. Harm suchte das Bild heraus, auf dem die Frau zu sehen war.
Und dann wusste er es!
Die Frau aus dem Sumpf!
Harm entsann sich an den Kampf mit ihr. Sie war in der Brière aufgetaucht, in Szomors Haus, hatte ihn dort gestellt und versucht, ihn zu töten. Ihn, Tanguy Giuvarch.
Wer kann sie gewesen …
Er lehnte sich nach hinten und rief die Szene von einst zurück, den Kampf, die Unterredung mit ihr, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte. Es lag über zweihundert Jahre in der Vergangenheit. Aber an den Geruch entsann er sich. Ein Duft, der sie als eine Verwandte ausgewiesen hatte.
Dann hörte Harm ihren Satz: »Verzeih mir, dass ich dich habe warten lassen.«
Er fühlte, wie sein Körper zu Eis wurde.
Großmutter … nein, meine Vampir-Mutter!
Wenn er alles zusammenzählte, gab es nur diese Erklärung.
Illicz hatte ihm berichtet, dass Scylla normalerweise ihre Nachfahren tötete, sobald sie zu Vampiren wurden.
Sie hat es in Szomors Ruine versucht und ist an mir gescheitert.
Harm sah auf den Arm, wo sich das Doppelmal deutlich abzeichnete: ein roter Fleck mit schwarzen Ranken drum herum, die auch dessen Innerstes durchwirkten. Er hob die Hand und fuhr sich am Hals entlang.
Sie hatte mich nicht richtig enthauptet und mich für tot gehalten. Von den Flammen vernichtet. Die beiden Dämonen oder wenigstens einer von ihnen hat mir aber Schutz gewährt. Das Feuer konnte mir nichts anhaben.
Sein Blick richtete sich auf das Bild und sog die Konturen seiner Mutter auf, die im Gegensatz zu Illicz kaum ge altert zu sein schien. Er starrte ihr Konterfei feindselig und wütend an.
Es geht nach Leipzig. Mutter und Halboheim an einem Ort – das darf ich mir nicht entgehen lassen! Ich schwöre, dass ich nicht an ihr schweitern werde wie sie damals an mir.
Kurz entschlossen stand Harm auf und packte einen Koffer mit dem Notwendigsten. Was der Besuch bringen würde, wusste er nicht.
Aber
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