Judassohn
sagen.
Vor denen habe ich Ruhe. Es lebe die Angst.
Harm steckte die Briefe ein, ging zur Tür, sah nochmals in seinen Laden und sperrte ihn von außen zu.
Gemächlich ging er durch das sommerabendliche Leipzig und tat so, als hätte er den vierten Mann der Wandlerbande, der sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in den Schatten drückte, nicht gesehen. Er war ihm schlicht zu unwichtig.
Sie hat mir einen Brief geschrieben. Das ist gut.
Da sich Emma bei ihm gemeldet hatte, würde er sie anrufen und den ersten kleinen Keil zwischen sie und Scylla treiben.
* * *
KAPITEL III
14. Juni 2008,
Deutschland, Sachsen, Leipzig
Harm saß im
Krystallpalast-Varieté
an einem Vierertisch im Parkett, schräg unterhalb der Empore. Von hier aus war der Blick gut, und man saß nicht zu dicht an der Bühne, um unvermittelt zum Gehilfen erklärt werden zu können.
Es ist einfach schön hier.
Das Varieté füllte sich stetig. Der Zuschauerraum war zur Bühne hin ausgerichtet, auf der bald Jonglage, Illusionisten, Kontorsion und Luftakrobatik im kleinen Rahmen zu sehen sein würden. Der Moderator ließ meist ein paar gute Witze einfließen und verband die Nummern mit einem großen Motto.
Harm las die Getränkekarte und bestellte eine Flasche Sekt und zwei Gläser. Emma musste jeden Moment kommen. Er hatte sie eingeladen, um zuerst einen gemütlichen Abend zu verbringen, danach wollte er mit ihr essen und im Anschluss ins
Emma’s
gehen, das so weit eingerichtet war, um es ihr präsentieren zu können.
Wie sie es aufnehmen wird, einen weiteren Traum real vor sich zu sehen?
Den ersten Unfrieden hatte er bereits zwischen ihr und Scylla gestiftet, indem er Emma von der Warn- oder Drohmail berichtet hatte. Zusammen mit einer kleinen Lüge, den Absender herausgefunden zu haben: ihre gute Freundin Sia – oder besser gesagt, Elenas Tante. Nach dem Ereignis in der Mühle trug sie ihre Haare wieder rot, und seit einem Monat nannte sie sich Jitka, dashatte er herausgefunden. Er vermutete, dass der ungewöhnliche Name mit ihrer Vergangenheit zusammenhing. Leider wusste er zu wenig von Scyllas, Sias, Jitkas Vorgeschichte und auch nicht ihr wahres Alter.
Ich bin gespannt, was ich heute Abend zur Mail höre.
Harm schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis Vorstellungsbeginn auf der Bühne. Seine eigene Show würde früher beginnen. Auch von ihm wurde Jonglage, Magie und Akrobatik verlangt, wenn auch mit Worten.
Er roch ihr Parfüm, bevor er sie sah, und hob den Kopf.
Shit!
Neben ihr lief Scylla. Beide hatten sich herausgeputzt und sahen in ihren eng geschnittenen Kleidern für unvoreingenommene Betrachter großartig aus. Jeder Mann im Varieté drehte sich zu ihnen um. Sie wirkten wie zwei Schwestern, die gemeinsam auf die Piste gingen und Spaß haben wollten, nur dass die rothaarige Scylla wenigstens dreihundert Jahre alt war und Emma knappe dreißig.
Emma hatte ihn entdeckt, zeigte kurz auf den Tisch und ging los, Scylla an der Hand haltend und hinter sich herziehend.
Das kann lustig werden.
Harms Puls beschleunigte sich, und er erhob sich, als sie ihn erreicht hatten. »Ladys«, sagte er und deutete eine Verbeugung an. Die Konfrontation hatte er sich anders vorgestellt, und er glaubte nicht daran, dass es Scyllas Idee gewesen war, ins Varieté zu kommen. Der Blick aus ihren dunkelgrauen Augen sah genauso begeistert aus, wie er sich fühlte.
Sobald sie mich erkennen sollte, muss ich …
»Das ist Alec«, stellte Emma ihn vor und unterbrach seine Gedanken.
Scylla nickte nur und setzte sich, ohne etwas zu sagen.
»Und das ist Elenas Tante Jitka«, fuhr sie verstimmt fort. Es war ihr unangenehm, dass die Vampirin derart unfreundlichreagiert hatte. »Ich habe sie mitgebracht, damit ihr euch kennenlernt und wir ein paar Dinge klären, bevor die Sache aus dem Ruder läuft.«
Oje. Als Diplomatin taugst du nichts
.
»An mir soll es nicht liegen«, sagte Harm sofort und lächelte falsch.
Scylla grinste zurück. Es hatte etwas Aggressives. Sie fühlte garantiert, dass mit ihm etwas nicht stimmte, konnte es jedoch nicht einordnen.
Es wird sich zeigen, womit ich ihre Ablehnung verdient habe. Wüsste sie, wer ich bin, wäre sie anders vorgegangen, als mir eine billige Einschüchterungsmail zu schreiben oder mir ein Drohfeixen zu schenken. Sie denkt, sie ist mir überlegen.
Harms Aufregung legte sich und wich der Wachsamkeit. Für ihn war klar: Einen physischen Kampf würde es nicht geben, nicht inmitten der vielen
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