Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
Erklärung, die verantwortlich für seine Verwandlung war: er selbst. Tanguy erinnerte sich schwach daran, dass er kurz vor seinem Tod im Wald Gott und den Teufel angerufen und um Rettung aus der Not gefleht hatte. Da er nicht glaubte, dass Gott ihn in eine solche Kreatur verwandeln würde, blieb nur …
    »Vererbung«, sagte Szomor lapidar aus seinem Apparaturdickicht, als habe er Tanguys Gedanken gelesen.
    »Bitte?« Er runzelte die Stirn, wandte den Kopf und suchte mit Blicken nach seinem Mentor. An einer Stelle stiegen gelbgraue Schwaden zäh auf und sanken bald wieder nach unten. Dem Geruch nach sollten Schwefel und Quecksilber unter Erhitzen miteinander verbunden werden. Tanguy bezweifelte, dass das Einatmen des Dunsts gesund war. »Verzeih, aber ich habe
Vererbung
verstanden.«
    »Das sagte ich auch.« Szomor wuchs wie aus dem Nichts am zweiten Tisch in die Höhe. Er hustete und fluchte gleichzeitig, packte den rauchenden Tiegel mit einer Eisenzange und schleuderte ihn quer durch den Raum in den großen Kamin. Zischend und brodelnd verging die Mixtur auf den glühenden Kohlen. »Misslungen«, grummelte er und gesellte sich zu Tanguy. »Der Schwefel ist von minderer Qualität.«
    »Szomor«, presste er fassungslos hervor, »was soll das bedeuten? Von wem soll ich denn
das
vererbt bekommen haben? Wie soll das angehen? Meine Maman war die freundlichste, netteste Person, die ich kenne, und gewiss weit von dem entfernt, was wir als Vampir kennen. Und … sie lebte am helllichten Tag zusammen mit …«
    »Da es dieser Räuber Malo nicht war«, unterbrach Szomor ihn, »muss einer in deiner Familie ein Judaskind gewesen sein. Und damit meine ich nicht zwangsläufig deine Maman. Es kann über Generationen hinweg Wirkung zeigen. Er oder sie hat dein Schicksal nach dem Tod vorherbestimmt.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Szomor rieb die Hände aneinander, gelbliche Dreckklümpchen regneten auf die Dielen. »Man sagt, dass Vampire Kinder gebären können. Und diese Kinder sind nichts anderes als normale Menschen, die einen Teil des Bösen in sich tragen. Aber sobald sie vom Schnitter gefällt wurden, kann der Vampirkeim in ihnen erwachen, und sie verwandeln sich.«
    Ganz glaubte es Tanguy noch nicht. »Weder meine Brüder noch Maman sind zu Vampiren geworden, nachdem ich sie …« Er seufzte.
    »Der Keim
kann
erwachen, sagte ich. Muss es aber nicht. Was ist mit deinem Papa?«
    »Er hat sein Leben in jungen Jahren im Sumpf verloren.« Tanguy erinnerte sich nicht einmal an ihn. Die Brüder waren der Ersatz gewesen. Er hatte niemals das Gefühl gehabt, etwas zu vermissen.
    Szomor hob rasch die Hände. »Nein, nein. Damit hatte ich nichts zu tun. Keiner meiner Versuchsleute trug den Namen Guivarch. Das schwöre ich! Manchmal nimmt sich der Sumpf einfach seine Opfer. Es muss nicht immer der Riese gewesen sein.«
    »Aber hätten …« Tanguy bekam die Namen seiner Geschwisterund der Mutter nicht über die Lippen. Diese Schuld … Er schluckte und hoffte, dass Szomor die Frage erahnte.
    »Die Opfer müssen auch nicht zwangsläufig zu Blutsaugern werden, denke ich. Gerade wenn sie so übel zugerichtet wurden: das Rückgrat gebrochen, die Köpfe abgerissen«, erzählte der Hexer. »Deswegen ist es nicht ganz verwunderlich, warum deinen Verwandten dieses Schicksal der unheiligen Auferstehung erspart geblieben ist.«
    Tanguy ertappte sich bei dem Gedanken, dass er es sich für Gwenn schon gewünscht hätte. Sie und er als Vampire vereint, ihre Liebe gerettet …
Nein
, dachte er gleich darauf.
Sei nicht so selbstbezogen. Dieses mordende Dasein hätte ihr niemals gefallen. Sie hätte sich umgebracht, bevor sie als Vampirin leben und andere Menschen umbringen müsste. Dafür war sie ein zu zartes Geschöpf.
    »Wie es aussieht, wirst du den wahren Grund nicht mehr in Erfahrung bringen.« Szomor klopfte ihm auf die Schulter. »Was soll’s?! Du hast Rache für deine Gwenn und deine Lieben genommen, jetzt ist deine Schuld erloschen. Kümmere dich nicht weiter darum und ergründe die Vorteile, die dir gegeben sind. Als ein Judassohn.« Er wandte sich um und bereitete das nächste Experiment vor. »Machst du Fortschritte?«
    Tanguy sah erneut zum Fenster hinaus. Es beschäftigte ihn immer noch.
Vielleicht war mein Vater der Vampir? Vielleicht war er auch gar nicht gestorben …
    Da er von den Toten keine Anworten bekam, bedeutete es, dass er den Weg nach Fougeray auf sich nehmen musste.
    Was Szomor nicht wusste: Es gab noch einen lebenden

Weitere Kostenlose Bücher