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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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starrte durch ihn hindurch. Aus dem halb geöffneten Mund kam ein leises, fassungsloses Stöhnen. Der Schrecken hielt seinen Verstand gefangen.
    »Hörst du mich?«, schrie ihn Tanguy erbost an. »Verstell dich nicht, du Bastard! Du hast so viele Menschen ermordet, dass dir das bisschen Blut nichts ausmachen wird. Oder ist es, weil das Sterben dieses Mal zu euch kam?« Er versetzte ihm einen Schnitt in den Arm, hob eine Hand Salz vom Boden auf und rieb es grob in die Wunde. »Ich bringe deine Gedanken zurück in diese Welt,glaube mir! Ich werde dir wenigstens die Haut in kleinen Streifen vom Leib wickeln, dich …»
    Der Knebelbart schrie auf, der Blick richtete sich auf Tanguy. »Was … bist du?«, stammelte er atemlos und wollte den Blick von seinem Peiniger abwenden, doch es gelang ihm nicht. »Ein Dämon? Ein Revenant?«
    »Ich bin ein Judassohn. Wie ihr es gewesen seid.«
    Der Mann zeigte nicht den Hauch von Verstehen. »Was soll das sein, ein
Judassohn?
«
    Er stellt sich dumm.
Tanguy öffnete dessen Kiefer und schaute nach den Zähnen. »Was ist mit dir? Warum fauchst du mich nicht an?« Jetzt, wo der Verstand mehr und mehr die Oberhand über den Rausch gewann, wandte er den Kopf und sah nach den Räubern, die an ihren gewöhnlichen Verletzungen gestorben waren. Keiner von ihnen konnte ein Vampir gewesen sein. Die Wunden wären bereits zum größten Teil wieder verheilt gewesen.
    Es sei denn, ihr verstellt euch.
    Er ließ vom Knebelbart ab und hob einen Säbel auf. Tanguy drehte eine Leiche, deren Bauch aufgeschlitzt war, auf den Rücken. »Ich werde dir den Kopf abschlagen«, sagte er deutlich und holte aus. »Was wirst du dagegen tun?«
    »Du bist verrückt!«, stammelte der Knebelbart. »Wie soll ein Toter denn zu dir sprechen?«
    Tanguy schlug zu, und der Schädel wurde abgetrennt. Mehr geschah nicht. »Was ist? Steht auf und verhindert, was ich tue!«
    Keiner rührte sich.
    Zornig kehrte Tanguy zu dem letzten Räuber zurück und brüllte ihn an, die Fänge weit ausgefahren. »Ihr seid keine Judaskinder!« Hatte er sich nach getaner Rache noch wohl und befriedigt gefühlt, drohte seine Hochstimmung nun zu schwinden.
    »Nein, nein, sind wir nicht! Was auch immer … du bist«, rief der Mann verzweifelt. »Vater unser im Himmel …«
    Tanguy lachte ihn aus. »Du hast gemordet und geplündert, und jetzt denkst du, dass Gott kommt und dir seinen Beistand gewährt? Was kannst du ihm bieten, dass er das tun sollte? Glaubst du, er nimmt sich deiner schwarzen, verlorenen Seele an? Du solltest nach dem Teufel rufen.« Er schlug ihm hart auf den Mund. Die Lippe sprang auf, und blutige Zähne fielen auf die Erde. »Ich dachte, Malo hat mich gebissen.
Er
hat mich mit dem Vampirfluch belegt!«
    »Malo? Malo könnte, wenn überhaupt, ein Loup-Garou gewesen sein, aber niemals ein Vampir!« Der Mann bebte am ganzen Körper, sein weißes Gesicht war von Schmerzen entstellt. »Wir sind ganz gewöhnliche Räuber …«
    »… die meine Verlobte ficken wollten und mich umgebracht haben«, hakte Tanguy aufbrausend ein. Er suchte fieberhaft nach einer anderen Lösung.
Wenn mich Malo nicht angesteckt hat, wie komme ich sonst zu dem Fluch?
Sein Überfall auf die Verbrecher hatte Tanguy Rache sowie die Erfüllung seines Schwurs, aber keine Erkenntnisse eingebracht.
Wem verdanke ich also mein Schicksal?
    »Es tut mir leid«, heulte der Knebelbart, und Tränen rannen ihm über das Gesicht. »Lass mich leben, und ich tue Buße. Ich tue Buße für alles und will mich fortan in die Dienste der Kirche stellen, um …«
    »Spar dir deine falschen Tränen!« Tanguy packte seine Kehle und riss sie ihm mit einem Ruck heraus. Er konnte nicht mehr trinken, sonst würde er platzen. Sprudelnd floss das Blut aus dem Loch und rann über die Brust, über die Kleidung und plätscherte auf die Stiefel. Es bedeutete ihm eine Genugtuung, den Mann sterben zu sehen.
    Für dich, Gwenn. Für dich.
Sommer 1782, Frankreich,
Bretagne, irgendwo in der Brière (Pays noir)
    Tanguy hatte sein Notizbuch aufgeschlagen und starrte auf die leeren Seiten. Eigentlich hatte er eintragen wollen, wie er zum Vampir geworden war: durch Malos Biss. Diese Spur hatte sich als falsch erwiesen. Die Blätter blieben unbeschrieben.
    Er grübelte zum hundertsten Mal darüber nach, wie er zum Vampirdasein gekommen war, wenn die Schuld nicht bei den Räubern gelegen hatte.
    Verflucht.
Sein Blick richtete sich durchs Fenster auf das wogende Schilf. Mehr und mehr blieb nur eine

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