Judassohn
Kragen hochgeschlagen war. Aus den Falten seines Dreispitzes rann das Wasser wie aus einer Traufe; hinter ihm warteten zwei weitere, gleich angezogene Begleiter. Die braunen Augen schauten ungeduldig, dann milder, als er Sandrine sah.
»Es wurde Zeit«, sagte er undeutlich und ging an ihr vorbei in das Häuschen. Seine Männer folgten ihm auf den Fuß.
»Messieurs«, sprach Sandrine aufbegehrend. »Ihr benehmt Euch ungebührlich. Hat Euch drei der Anstand nicht gelehrt, dass man gefälligst wartet, bis man hereingebeten wird?«
Was wird das?
Als sie sich umdrehte, fehlte von Anjanka jede Spur. Stattdessen schwang sich ein schwarzer Falter zum Dachbalken hinauf. Die Tenjac war keine Kämpferin. Sandrine nahm es ihr nicht übel.
Der Anführer zog den Hut vom schwarzen Schopf, löste die Verschnürung des Kragens und drückte ihn herab, so dass sein Gesicht zu sehen war. Er konnte kaum älter als achtzehn Jahre sein, doch dem Ausdruck seiner Augen nach war er es gewohnt, Befehle zu erteilen, die umgehend befolgt wurden. »Du weißt, wer ich bin?«
»Nein.«
»Gut.« Er grinste wölfisch und ging zum Tisch. Das Regenwasser, das von seinem Mantel rann, malte geschwungene Spuren auf den trockenen Holzboden. »Es spielt keine Rolle.« Seine beiden Leute blieben am Eingang stehen. Einer von ihnen war eine Frau, die kleinen Brüste hoben sich kaum merklich unter dem Mantel ab. Der junge Mann setzte sich. Wieder ungefragt.
Unhöflich kann ich auch sein.
»Du bist nicht gekommen, um dich wegen des Unwetters unterzustellen.« Sandrine nahm ihm gegenüber Platz. »Also, was willst du?«
Er langte in die Manteltasche und schleuderte ein Säckchen auf den Tisch, das beim Aufschlag laut klimperte. Es schien ihm nichts zu bedeuten. »Ich habe gehört, dass die Geister des Gévaudan Silber mögen.« Er lehnte sich nach vorne, der rechte Zeigefinger deutete auf das Beutelchen. »Sollten sie sich auch mit Gold zufriedengeben und mir meinen Fluch erfüllen, würde mich das freuen, Sennerin.«
Sandrine hatte die massiven Ringe gesehen, die er an den Fingern trug. Edelsteine prangten in den Fassungen und wett eiferten um die Aufmerksamkeit eines jeden Betrachters, so dass sein Siegelring fast nicht auffiel. Das Zeichen darauf kannte sie.
De Morangiès! Es ist der junge Comte!
Sie blickte ihn erstaunt an.
»Oh, nun hast du mich doch erkannt. Ich begehe meist den Fehler und vergesse, das Wappen abzulegen, wenn nicht jeder wissen sollte, wen er vor sich hat.« Er zeigte wieder dieses Lächeln, das sie an ein gefährliches Raubtier denken ließ. Die Zähne waren schneeweiß und kräftig, die Eckzähne über die Maßen ausgeprägt.
»Mon Seigneur«, sagte Sandrine rasch und deutete eine Verbeugung an. »Die Geister sind über Eure Großmut erfreut.«
»Das weißt du jetzt schon?«, sagte er amüsiert. »Sind sie im Raum und reden bereits mit dir?«
Er glaubt nicht an die Erzählungen, aber an die Wirkung meiner Flüche.
Sie lächelte. »Spottet nicht zu sehr, da Ihr deren Dienste in Anspruch nehmen möchtet. Gegen Beleidigungen ist auch Gold machtlos. Am Ende trifft Euch noch der Fluch.« Im gleichen Moment ärgerte sie sich über ihre letzte Bemerkung. Adlige reagierten auf Drohungen anders als gemeines Volk.
Der Comte sah sie abschätzend an, dann legte er den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Ein Fluch mehr oder weniger, darauf käme es mir auch nicht mehr an.« Er langte auf Brust höheunter seinen Mantel und nahm ein Stück Wachspapier hervor, aus dem er wiederum eine Zeichnung schälte. Sandrine sah auf die Züge eines jungen Mannes von zwanzig Jahren. Nett, harmlos und mit einem freundlichen Gesicht, so hätte sie ihn beschrieben. »Diesen Kerl sollen die Geister jagen und quälen«, sagte er grollend.
»Er lebt nicht im Gévaudan?«
»Nein. Ich weiß auch nicht,
wo
und
ob
er noch lebt. Meine Suche verlief ergebnislos. Ich möchte jedoch sicher sein. Die Geister werden mehr Glück haben als ich. Übersinnliche Mächte sehen besser als meine weltlichen Augen.« Er schob ihr langsam das Porträt zu. »Sie sollen ihm Unglück bringen, bis ans Ende seines Daseins! Er soll keinen Tag mehr Freude haben.«
Sandrine hörte den mühsam verborgenen Hass in seiner Stimme. »Die Geister vermögen auch zu töten, wenn Ihr …«
»Nein«, rief er rasch. »Nein, das wäre zu einfach. Er soll leiden!« Der Comte schlug mit der Faust mitten in das Gesicht auf der Zeichnung. »Können das deine Geister? Oder besser gesagt:
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