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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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sausen.
    Scheppernd krachte die Kante gegen das Eis, weißliche Splitterchen flogen nach allen Seiten davon.
    Die Decke hielt, Luftblasen zogen unter ihren Füßen davon.
    »Hör auf damit!«, schrie der Anzugmann und lud durch. »Sofort!« Auch die anderen zwei Fremden plärrten lauthals, ohne dass sie etwas in dem Durcheinander verstand.
    Elena kümmerte sich nicht um die Männer. Mit zitternden Armen hob sie den Korb erneut an und ließ ihn fallen; gleichzeitig sprang sie fest aufs Eis.
    Es knackte gleich mehrfach, Risse flogen von ihren Schuhen nach rechts und links weg. Einen Herzschlag danach sackten ihre Füße durch die geborstenen Schollen ins schwarze Wasser.
    Elena stürzte in flüssige Kälte, die sie umschloss und ihr die Luft raubte. Ihr Herz setzte vor Schock aus, und bei dem instinktiven Versuch einzuatmen schluckte sie Eiswasser. Ihre Brust krampfte sich schmerzhaft zusammen.
    Jetzt überfiel sie fürchterliche Angst – und Lebenswille!
    Sie versuchte, zurück an die Oberfläche zu gelangen, um atmen zu können, aber die Eisschollen über ihrem Kopf verhinderten es.
    Verzweifelt schlug sie mit den kleinen Fäusten gegen das Eis. Sie sah die Helligkeit von oben und einen Schatten über sie springen, doch das Gefängnis hielt sie mit seinen Wänden aus gefrorenem Wasser.
    Elenas Bewegungen wurden langsamer, ihre Glieder fühlten sich schwer an. Das Empfinden war gewichen. Ihr Körper versuchte wieder, Luft zu holen, aber sie schluckte nichts als Wasser, das so kalt war, dass ihr Mund, Zähne, der Hals weh taten.
    Der Hustenreiz brachte sie dazu, noch mehr Wasser in sich einzusaugen – obwohl sie es nicht mehr wollte.
So habe ich mir das Sterben nicht vorgestellt!
    * * *

2. Februar, Großbritannien,
Nordirland, Omagh, 16.36 Uhr
    Mike O’Malley schaltete das Licht im Treppenhaus ein, ging die Stufen hinab und öffnete mit sanftem Druck gegen eine bestimmte Stelle die kleine Tür, die sich in der Vertäfelung des Absatzes verbarg.
    Dahinter befand sich sein Versteck, sein Hauptquartier, in das er rasch eintrat und den Eingang verschloss, während er auf den Lichtschalter an der Wand drückte.
    Eine schmale Neonröhre erwachte zum Leben: sechzehn Quadratmeter, vollgestopft mit Handfeuerwaffen, Plastiksprengstoff, Chemikalien sowie einer kleinen Werkbank zur Munitionsherstellung, zwei älteren Panzerfäusten und einem kleinen Tresor. Darin befand sich Geld, etwa zehntausend Euro und dreißigtausend Britische Pfund. Kriegskasse. Genau gegenüber der Tür hing eine Fahne mit dem Zeichen der IRA , die er nicht weiter beachtete.
    O’Malley wirkte auf den ersten Blick nicht wie ein Ire: Schütteres blondes Haar und eine lange Nase, um seinen dünnen Körper lag der karierte Morgenmantel, an den Füßen steckten Pantoffeln. Das machte ihn zum Vorzeigeexemplar einer britischen Adelskarikatur. Dabei war seine Familie waschecht, mit keltischen Wurzeln und dem Gälischen sehr verhaftet. O’Malley war die Steigerung von patriotisch: Er war ultra-irisch und würde es bald auf einem anderen Weg als bisher beweisen.
    Er schaltete das umgebaute Radio ein, auf dem stets der aktuelle Polizeifunk zu hören war. Gewohnheit. Eigentlich musste er die Bobbys und die Army nicht mehr belauschen.
    O’Malley begab sich mit schlurfenden Schritten an die Werkbank und betrachtete die zäpfchenartigen Projektile, die er in den letzten Tagen geschaffen hatte. Sie schimmerten im kalten, bläulichen Licht intensiv silbern. 7,62 Millimeter reinstes Argentum; die mit Treibladungen gefüllten Hülsen warteten in einem kleinen Ständer dahinter.
    Er nahm ein Geschoss auf und hielt es prüfend vor die Augen. Die Spitze war kreuzförmig eingeschlitzt, damit sie sich beim Aufschlag auseinanderbog und bei ihrem Flug durch den Körper möglichst stark deformierte und zerbrach. Sie richtete als Dum-dumgeschoss größten Schaden im menschlichen Körper an.
    »Kannst du mir sagen, was du da machst?«
    O’Malley kannte die Stimme, und er erschrak auch nicht. Er hatte den Mann beim Betreten des Raums bereits bemerkt, aber unbeteiligt getan. »Du würdest es mir nicht glauben, Mitch.« Er legte das Projektil zurück auf die Werkbank. »Sie haben dich geschickt, um mich zum Bleiben zu überreden.«
    »Was sonst, Mike?« Er stand von dem Stuhl auf und kam aus der dunklen Ecke zwischen den Spinden, wo er im Schatten gewartet hatte. »Niemand steigt einfach so bei der IRA aus.«
    »Ich habe doch gesagt, dass ich nur eine Pause einlege. In ein oder

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