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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Mann in grauem Mantel und mit Hut.
Er ist immer noch da!
    »Das rate ich dir, Fräulein. Oder soll ich dich abholen? Wo steckst du?«
    »In der S-Bahn. Wird nicht mehr lange dauern. Tschüs, Tante Sia.« Schnell legte Elena auf und sah auf das Display: 18.17 Uhr. Die Lüge war wie von selbst über ihre Lippen gekommen. Die Entscheidung war in ihrem Unterbewusstsein gefallen. Furcht und Zuversicht mischten sich, und über allem stand die Sicherheit, zu einer Vampirin zu werden. Dass sie von dem Unbekannten beobachtet wurde, störte sie nicht. Hindern würde sie sich nicht lassen.
    Wie kriege ich ein Loch ins Eis?
Sie schaute sich um. Im hinteren Teil des Bassins war ein Stück mit Flatterband abgesperrt worden; Kufenspuren konnte sie nicht entdecken.
Da ist es bestimmt dünner!
Elena erhob sich, nahm einen Schlittschuh mit und lief los.
    Mit leichter Angst und Freude erkannte sie, dass die Blasen mehr wurden. Ganz vorne, am entgegengesetzten Ende des Denkmals, schwappte Wasser unter einem dünnen Rand. Als sie mit der Kufe einen kräftigen Schlag gegen die Stelle führte, brach ein Stückchen Eis ab.
    Hier wird meine Einstiegsstelle!
Elena wollte langsam hineingleiten, wie in einen Pool, und nicht hineinspringen.
    Sie schaute sich wieder nach dem Mann mit Hut um. Noch wusste sie nicht, ob sie sich einbildete, dass er es auf sie abgesehen hatte. Männer, die Mädchen nachstellten, gab es immer wieder, wie sie aus den Nachrichten und aus der Zeitung wusste.
    Sie grinste.
Der wird sich gleich wundern, wenn er mich angreift und ich eine Vampirin geworden bin. Ich reiße ihm den Hals auf!
Elena hatte den Unbekannten erneut aus den Augen verloren.
Vielleicht noch ein Wandler oder noch ein Nachkomme, der aus Tante Sias Vergangenheit stammt?
    Sie wollte jetzt möglichst schnell in das frostige Nass, um zu sterben und als Vampirin aufzuwachen. Die Angst war vollständig verflogen. Mit dem Schlittschuh ein Loch zu hacken, das würde zu lange dauern, und dem Stampfen ihrer Stiefel widerstand das Eis.
    Elena sah neben dem Glühweinstand einen metallenen Papierkorb.
Damit geht es wahrscheinlich besser.
    Sie lief auf der Bassinumrandung durch das diffuse Halbdunkel und hatte die Bude beinahe erreicht, als ein Mann über den Hügel gesprungen kam, der das Wasserbecken umgab.
    Aber es war nicht ihr Verfolger vom Nachmittag: Der Unbekannte trug eine schwarze Bomberjacke und hatte die kurzen schwarzen Haare mit Gel nach hinten gelegt. Er schlidderte über die gefrorene Erde genau auf Elena zu. Aus seiner rechten Tasche zog er einen Teleskopschlagstock, das schwere Ende ließ er mit einer ruckartigen Bewegung hervorschnellen.
    Elena rannte los, zerrte den Mülleimer hinter sich her und schleuderte ihn über die Einfassung aufs Eis. Sie wollte unbedingt einbrechen. »Lass mich in Ruhe!«, schrie sie und rutschte vorwärts.
    Aber der Unbekannte folgte ihr. Von der anderen Seite kam ein zweiter Mann, der einen kurzen Ledermantel trug, übers Eis.
    Verschwindet!
Sie hatte keine Ahnung, was die Männer von ihr wollten, und verdreifachte ihre Anstrengung, in den gesperrten Bereich zu gelangen. Inzwischen war sich Elena vollkommen sicher mit ihrem Vorhaben, zu einer Vampirin zu werden. Nur auf diese Weise würde sie mit den Angreifern fertig werden. Sie musste versuchen, unter das Eis zu kommen und so lange für die Männer unerreichbar zu sein, bis die Wandlung abgeschlossen war. Sie glaubte fest daran, dass es bei ihr schnell ging.
Ich mache Tante Sia stolz!
    Sie fegte das rot-weiße Flatterband zur Seite und schob den Mülleimer vor sich her, sah hinter sich.
    Der Mann in der Bomberjacke war gestürzt, der im Ledermantel balancierte mit den Armen und musste langsamer laufen, um nicht ebenfalls zu fallen.
    Pech gehabt!
Unter Elena knirschte das Eis und warnte sie. Das feine, helle Krachen war Musik in ihren Ohren, und sie richtete den Kopf nach vorne, auf den Beckenrand, wo die ganz dünne Stelle wartete.
    Wie aus dem Nichts erschien der Mann in Grau! Er stand mit leicht gespreizten Beinen auf der Einfassung, um einen sicheren Stand zu haben, und zog eine schallgedämpfte Pistole unter dem Mantel hervor. »Bleib stehen!«, rief er ihr zu und hob die Waffe.
    Ich will nicht erschossen werden.
Elena hörte an den Geräuschen und dem Keuchen, dass die anderen zwei Verfolger zu ihr aufschlossen.
Ich komme als Vampirin zurück und mache euch fertig!
Sie hob den schweren Mülleimer an, so gut es ihr möglich war, und ließ ihn nach unten

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