Judastöchter
Mörder waren schneller gewesen. Der sichere Beweis für die Verstrickung der Sídhe in diese Vorkommnisse lag tot in ihrem Wagen.
Sirenen erklangen, Feuerwehr und Krankenwagen rückten an.
Boída stürmte die Treppe hinauf, gegen den Strom von flüchtenden Hotelbesuchern, die mal mehr, mal weniger bekleidet waren. In dem schmalen Aufgang wirbelte der Staub in dicken Wolken, wie Nebel, der die Atemwege verbrannte.
Geschickt wand sie sich durch die nicht enden wollende Flut von Menschen und gelangte in die fünfte Etage. Sprinkleranlagen hatten ihren Dienst aufgenommen und die flüchtigen Dreckschwaden gebunden, das Luftholen fiel Boída leichter. Ein Blick nach oben zeigte ihr, dass große Teile des Stockwerks darüber eingestürzt waren.
»Ard Rí!«, schrie sie und züngelte, um seinen Geruch einzufangen. Sie nutzte die Fertigkeiten der Schlange und schaute mit wärmeempfindlichen Augen, ob sie die Umrisse von Überlebenden in dem kalten Stein erkennen konnte. Aber die schwelenden Brände verzerrten ihre Sicht. Sie musste sich alleine auf ihre Zunge verlassen.
Eine Männergestalt trat aus dem künstlichen Regen und kam auf sie zu, wischte sich das schmutzige Wasser aus den Augen. Boída erkannte ihn. Es war Benny, einer der BlackDogs und Oenach.
»Miss de Cao«, hustete er. »Kommen Sie hierüber! Der Ard Rí muss mitten in diesem Durcheinander sein.«
Sie ließ sich von ihm ins Zentrum des Einsturzes führen und machte sich mit ihm gemeinsam auf die Suche. Nach und nach gesellten sich weitere Wandler dazu, die mit bloßen Händen im Schutt gruben. Die eigene Sicherheit galt nichts.
Boída hatte die Witterung aufgenommen und konzentrierte sich auf einen Abschnitt, der neben dem Eingang in die Lounge gelegen hatte. »Hierher«, rief sie. »Er ist …«
Unter den Steinen regte sich etwas, und dann brach der rechte, blutige Arm des Ard Rí aus dem Dreck hervor.
»Wir haben ihn!« Boída jubelte innerlich. Mit ihren gewaltigen Kräften hatte sie die Hindernisse schnell aus dem Weg geräumt und den nackten Körper ihres Geliebten freigelegt. Er war unversehrt, die Blutspuren auf seiner Haut verrieten ihr jedoch, dass er vor nicht allzu langer Zeit Wunden davongetragen hatte. Er hatte sich bereits regeneriert.
»Ich wusste es. Auf dich ist Verlass«, sagte er, die leuchtenden goldenen Augen waren auf sie gerichtet. Er gab ihr einen Kuss, den er lange auf ihre Lippen gedrückt hielt, und sie fühlte unsagbares Glück in sich. Langsam strich er über ihre Glatze, dann schob er Boída zurück und stand auf. »Ich habe sie unterschätzt.«
»Wer war es?«
»Eine Vampirin und der Deutsche. Aber der Deutsche ist mehr als nur ein einfacher Bestienjäger. Er besitzt ähnliche Kräfte wie ich.« Der Ard Rí begab sich unter einen Sprinkler und wusch sich den Dreck ab.
Boída ersparte sich den Hinweis darauf, dass sie ihren Geliebten gewarnt hatte. Er hatte seinen Fehler bereits eingestanden, was einem Lob an sie gleichkam. »Ich hatte einen Beweis dafür, dass die Sídhe hinter den Morden an unseren Leuten und den anderen Wandlern stecken. Leider ist meine Gefangene durch die Trümmer gestorben. Die Vampirin heißt Sarkowitz.«
»Wir sollten gehen«, sagte Benny eindringlich und schaute zur Treppenhaustür. »Ich höre Schritte. Wird die Feuerwehr sein.«
Sie setzten sich in Bewegung, hasteten zum zweiten Treppenhaus. Der Ard Rí nahm sich unterwegs etwas zum Anziehen aus einem der zerstörten Zimmer.
Die Truppe lief an den entgegenkommenden Rettungskräften vorbei. Unterwegs ließ sich der Hochkönig Bennys Handy geben.
Boída hörte, wie er in raschem Wechsel mit verschiedenen seiner Wandler bei der Garda, dem britischen Militär im Norden und vielen anderen telefonierte. Das Schneeballsystem wurde ausgelöst, um die Lawine ins Rollen zu bringen, welche die Sídhe unter sich begraben sollte. »Wir beginnen den Krieg?«, sagte sie zu ihm.
Der Ard Rí lächelte. »Nein. Aber ich treffe Vorbereitungen. Wenn die Vampirin schlau ist, und ich denke, dass sie das ist, wird sie sich bei mir melden, um einen Deal mit mir einzugehen.«
»Deal?«
»Die Sídhe haben ihre Familie als Druckmittel. Nur deswegen versucht sie, mich auszulöschen. Es gibt keine andere Motivation für sie. Sie will ihre Brut schützen, und das ist ein hehres Ziel, das ich respektiere. Es geht ihr nicht um Macht oder Einfluss. Sie kann nicht anders.«
Sie hatten die Bar erreicht, die inzwischen evakuiert war, aber sie setzten sich dennoch an
Weitere Kostenlose Bücher