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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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das waren sie doch! Elena und Sia waren im Zimmer, ich habe sie reden hören! Sie machen sich garantiert schreckliche Sorgen. Ich würde ihnen gerne sagen, dass ich klar denken kann.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Gott! Bitte, wo bist du? Gib mir meinen Körper zurück, damit ich mich verständigen kann! Wie lange liege ich schon hier? Nein, viel schlimmer: Wie lange werde ich noch so daliegen? Ich bete inständig, dass keiner der Ärzte auf die Idee kommt, die Maschinen auszuschalten! Ich lebe und fühle und denke! Niemals habe ich klarer und schärfer gedacht als in diesem Augenblick.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Ich kann nicht mal vor Verzweiflung heulen. Was für ein beschissenes Gefühl!!! Ich verrecke an meinen Gefühlen, ersticke an meinen Tränen, würde toben und schreien und …
SCHEISSE
!!!
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Wenn ich mich wieder bewegen kann, laufe ich einen Marathon. Jawohl, einen Marathon! Und einen Triathlon gleich hinterher. Danach reise ich mit Elena, ich gehe schwimmen am Strand irgendeiner Südseeinsel und schaue mir danach die Pyramiden an. Ich will mehr von der Welt sehen.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Wie vielen Menschen es wohl noch so ergeht wie mir? Es gab da doch einen Franzosen, wenn ich mich richtig erinnere. Der lag … wie viele Jahre im gleichen Zustand wie ich? Zehn? Zwanzig?
    Gott, wie schafft man das, ohne dabei verrückt zu werden? Man hört die Menschen, die Unterhaltungen … und kann nichts tun! Man wird ernährt, sauber gemacht, wie ein Gegenstand, Jahr um Jahr. Verliert Jahr um Jahr. Er hatte Glück, und man hat bemerkt, dass er lebt und nicht einfach nur geistlos dahinvegetiert.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Ich muss mein Leben ändern! Dringend. Dinge tun, die auf der Irgendwann-Liste gestanden haben. Aber wie ich gerade gezeigt bekomme, ist es falsch, eine Irgendwann-Liste zu führen. Ich hoffe mal, dass daraus keine Niemals-mehr-Liste wird.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Dieser beschissene schlaue Spruch von
Lebe dein Leben, als wäre jeder Tag der letzte –
er stimmt. Wenn man in einer solchen Lage ist, versteht man ihn.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …
    Was ist eigentlich, wenn ich sterbe und in diesem Zustand zur Vampirin werde? Bin ich dann eine Vampirin im Koma?
    Trapp, trapp, klopf, klopf, klick. »Hallo, Frau Karkow. Hier ist wieder Schwester Hildegard. Zeit für das Temperaturmessen!« Trapp, trapp.
    Eine gute Seele in einem unterbezahlten Beruf. Ich freue mich auf morgen, wenn ich Elenas Stimme wieder höre.
    Biep, biep. Klick-fchhhh-klack, klick-fchhhh-klack. Biep …

2. Februar, Deutschland,
Sachsen, Leipzig, 18.36 Uhr
    Elena sah mit schwindenden Sinnen nach oben, wo sich die Eisschollen übereinanderschoben. Das unwirkliche Licht machte sie zu scharfzackigen, grau-durchsichtigen Wolken, die an einem flüssigen, bräunlichen Himmel dahinschwebten. Kleine Luftbläschen stiegen an ihr vorbei in die Höhe, wie Regen, der von unten nach oben fiel.
    Es war absolut still, kein Laut herrschte unter Wasser.
    In ihren Ohren pochte der Herzschlag, der ihr sehr langsam vorkam. Elena hatte nicht mal mehr das Bedürfnis, Luft zu holen, und sie spürte ihren Körper nicht länger. Ihre Sicht verschlechterte sich, wurde weicher und verwischt wie bei einem Wasserfarbenbild, bei dem das falsche Papier benutzt worden war. Ihre Brust schmerzte.
    Da schlugen Finger wie die Hand Gottes durch die Eisschollenwolken, packten sie am Kragen und rissen sie nach oben.
    Kanten kratzten über ihr Gesicht, sie wurde an die Oberfläche gehievt. Die Brise, die sie traf, erschien ihr frühlingswarm, und Elena merkte, wie sie instinktiv einatmen wollte.
Nein, ich darf nicht …
    Sie landete auf etwas Hartem, dann schoss ihr regelrecht heiße Luft in den Mund, und nach einer kurzen Pause wurde rhythmisch auf ihrem Brustkorb herumgedrückt. Pause, heiße Luft, mehrmaliges Drücken, Pause … Die heiße Luft gelangte jetzt bis in ihre schmerzende Brust und breitete sich darin aus, reizte sie.
    Elena musste husten, und warmes Wasser rann aus ihrem Mund. Das Husten wollte gar nicht mehr enden, es schüttelte sie, bis sie dachte, sie würde daran ersticken. Tränen rannen über ihre Wangen und fühlten sich an, als zögen sie eine Spur aus Feuer hinter

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