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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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durch die Kraft eines Dämons als Untote erhalten und seitdem kaum gealtert. Sie wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie ihrer Schwester eine Niere spendete.
    Wird das Organ sterben und vergehen, sobald es meinen Körper verlassen hat?
Die Transplantation bedeutete ein Experiment, das einer Judastochter vom alten Schlag durchaus würdig gewesen wäre.
    Sia würde dabei nichts geschehen, die Niere würde nachwachsen – falls sie sie überhaupt noch benötigte –, aber was geschähe mit Emma? Die Vampirniere konnte absterben, vom lebenden Gewebe abgestoßen werden, die Frau vielleicht sogar erst recht zu einer Blutsaugerin machen. In Emmas geschwächtem Zustand könnte die Operation an sich bereits zu ihrem Tod führen.
    Die Fragen, die sich Sia stellte, blieben alle hypothetischer Natur, aber die Wissenschaftlerin in ihr verlangte nach Sicherheit für Emma, nach einem konkreten Test. Der skrupellose Teil der Judastochter in ihr, die eine jahrelange wissenschaftliche Ausbildung genossen hatte, die erbarmungslos seziert und untersucht hatte, die sich durch Eingeweide von Unschuldigen und Schuldigen gewühlt hatte, erwachte.
    Ich muss mir jemanden suchen, an dem ich ausprobieren kann, wie die Organtransplantation einen Menschen verändert.
Sie grinste.
Ich werde ihm meinen Blinddarm geben.
    In Sias Kopf rotierten die Gedanken. Sie brauchte ein gewissenloses OP -Team, das einen solchen Versuch überhaupt unternehmen würde; dazu musste es schnell gehen, weil Emma die Zeit davonlief. Spontan kamen ihr Krankenhäuser im Osten in den Sinn, Weißrussland oder in einem anderen Ex-Ostblock-Staat, wo Ärzte wenig verdienten und ein bisschen Geld jegliche äskulapianische Moral überwand.
    Ohne es zu merken, war sie beim Grübeln vor Emmas Zimmertür angekommen.
    Auf dem Schildchen reflektierte sich ihr Gesicht, und Sia erschrak zweifach. Einmal vor ihrem kalten Antlitz, dann vor ihren eigenen Gedanken, die menschenverachtend und grausam waren. Ihre Feinde von damals in den Reihen der Kinder des Judas hätten bewundernd den Hut vor ihr gezogen.
Aber bleibt mir eine andere Möglichkeit?
    Sie dachte daran, wer für den Versuch in Frage kam: Verbrecher, zum Tode Verurteilte. Individuen, um die es nicht schade wäre, wenn sie der Gesellschaft abhandenkämen, und die sie ohne weiteres töten konnte, sollten sie sich zu Vampiren entwickeln.
    Es geht nicht anders. Ich muss eine Test-
OP
organisieren. Emmas Leben und ihre Seele stehen auf dem Spiel, und Elena benötigt ihre Mutter dringend. Eine menschliche Mutter, keine Vampirin. Es reicht, wenn sie eine Blutsaugerin als Tante hat.
Sia trat nicht ins Zimmer, schaute stattdessen den Korridor hinauf und hinab.
Wo bleibt die Kleine?
    Die Sorge um ihre Nichte drängte sich durch die kreisenden Gedanken um die Operationsorganisation. Sollte Emma ausgerechnet
jetzt
erwachen und nach ihrer Tochter fragen, würde sie bestimmt nicht von Sia hören wollen: »Keine Ahnung. Sie ist seit mehr als einer Stunde überfällig.«
    Also verzichtete sie auf einen weiteren Besuch und ging stattdessen zurück zum Fahrstuhl, wo sie Schwester Hildegard traf. Die versierte Pflegerin fuhr eben den Wagen heraus, in dem die leeren Tabletts vom Abendessen eingesammelt wurden. »Wenn Sie Elena sehen, sagen Sie ihr bitte, dass sie mich anrufen und hier auf mich warten soll.«
    »Sicher, Frau Sarkowitz. Ist was mit ihr?«
    Sia trat in den Lift. »Sie hat sich nicht an die Abmachung gehalten.«
Und ich hätte besser auf sie aufpassen sollen.
    Die Türen schlossen sich, die Fahrt nach unten begann. Vor dem Krankenhaus hatte sie ihre Hayabusa abgestellt, eines von den alten Modellen, die nicht vom Werk gedrosselt waren und mehr als dreihundert Stundenkilometer fahren konnten.
    Sie würde ihre Suche beim Völkerschlachtdenkmal beginnen und erst dann beenden, wenn sie Elena gefunden hatte. Die Nächte waren glücklicherweise lang.
    * * *

2. Februar, Großbritannien,
Nordirland, Omagh, 20.35 Uhr
    Mike O’Malley schob das Magazin in den Schacht der AK-103 Kalaschnikow, lud einmal durch und klappte die Schulterstütze zur Seite, bevor er den Schalldämpfer auf den Lauf schraubte. Dreißig mehr oder weniger geräuschlose Schuss. Es musste nicht jeder sofort hören, dass er zugange sein würde. Am besten keiner.
    Als Nächstes folgte das Präzisionszielfernrohr, das in die Halterung oben auf das Sturmgewehr geschoben wurde. Mike legte die AK auf den Beifahrersitz und breitete die Decke darüber, falls ein Passant

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