Judaswiege: Thriller
unkontrolliert zu zucken, als hätte sie einen epileptischen Anfall, oder Schlimmeres. Ohne das Um-sich-Schlagen zu unterbrechen, hörte sie, wie das Sichtfenster in der Zellentür zur Seite geschoben wurde. Sie zuckte noch ein wenig wilder und stöhnte dazu, als erleide sie große Schmerzen. Wenige Sekunden später hörte sie, wie der Schlüssel die Zellentür aufschloss. Die nächsten Augenblicke würden darüber entscheiden, ob sie eine realistische Chance zur Flucht bekam oder nicht. Klara versuchte, das laute Schrillen der Sirene zu ignorieren, die Hitze des Feuers und ihre eigenen Zuckungen, sie versuchte, nur auf die Geräusche der beiden Männer zu achten. Die Tür wurde geöffnet, und eine Männerstimme schrie: »Hol einen Feuerlöscher!«
Klara warf ihre Arme noch ein wenig höher in die Luft. Jetzt komm schon. Klara öffnete die Augen einen kleinen Spalt und versuchte, den Mann abzuschätzen: Er war Ende zwanzig, ein freundlich aussehender Schwarzer. Er stürzte Richtung Klaras Bett, nur seine antrainierte Vorsicht gegenüber Gefangenen hielt ihn davon ab, sofort die Flammen zu löschen und ihr zu Hilfe zu eilen. Als er sich mit ausgestreckten Armen ihrem zuckenden Körper näherte, bemerkte Klara einen Funken Zweifel in den Augen des Mannes. Sie beschloss, den günstigsten Augenblick nicht verstreichen zu lassen, auch wenn der Wachmann noch ein wenig zu weit weg war, und sprang auf.
Sie stand direkt vor ihm und starrte in ein überraschtes Augenpaar. Binnen Sekundenbruchteilen verengten sich seine Pupillen, und sein Gesichtsausdruck wechselte von Verwirrung zu Erschrecken. Klara verlor keine Zeit, sie verlagerte ihr Gewicht auf ihr linkes Bein und holte mit dem rechten zu einem hohen Schlag gegen sein Kinn aus, der ihn wie ein gezielter Treffer mit einem Hammer zu Boden schickte.
Wie Klara gehofft hatte, stürmte in diesem Moment der zweite Wärter mit dem Feuerlöscher in die Zelle. Er erfasste die Situation schneller, als es Klara für möglich gehalten hatte. Der Feuerlöscher ging mit einem dumpfen Schlag zu Boden. Der Mann, ein stämmiger Riese, zog den Schlagstock aus dem Hüftholster und erhob ihn drohend über seinem Kopf. Was für ein Glück, dass in den Zellentrakten Schusswaffen während des regulären Gefängnisbetriebs strikt verboten sind, dachte Klara und machte einen Schritt auf ihn zu. Merkwürdigerweise sagte er nichts, forderte sie nicht auf, sich zu ergeben, und machte auch sonst keinerlei Anstalten, die Situation zu deeskalieren.
Immer diese Überlegenheitsphantasien, seufzte Klara innerlich und bereitete sich auf ihren entscheidenden Schlag vor. Er grinste sie an. Hämisch. Noch während sie die kreisenden Bewegungen des Schlagstocks verfolgte, um den perfekten Moment abzupassen, nahm sein Lauf eine für sie vollkommen unvorhergesehene Wendung, und noch ehe Klaras Synapsen die Änderung in der Routine verarbeitet hatten, spürte sie einen krachenden Schmerz in ihrem linken Brustkorb. Sie krümmte sich, und ihre Instinkte gewannen die Vorherrschaft. Verzweifelt kämpften sie gegen ihren Körper, der sich auf den Boden fallen lassen wollte, so schnell wie möglich versuchte sie, die vergangenen Sekunden zu verarbeiten und aus ihnen eine sinnvolle Taktik abzuleiten. Klara hatte diese Urinstinkte lange nicht beanspruchen müssen, und sie hoffte, dass sie sich noch immer darauf verlassen konnte. Ihr Verstand war wie ausgeschaltet, sie sah sich selbst handeln wie in der Zeitlupenwiederholung eines Boxkampfes: Abrollen nach rechts. Der Schlagstock frontal von vorne. Seine Augen zuckten nach rechts. Rolle nach links, in die Hocke. Überraschung. Ein zaghafter Schlag Richtung Gesicht, direkt danach ein unerwarteter Tritt in die Nieren. Nummer zwei, ächzte Klara, als sich der Nebel der Instinkte verzog. Noch immer schrillte der Feueralarm, als Klara ihre Gefängniskleidung auszog. Nur mit einem Schlagstock und ihrem Pfefferspray bewaffnet, spähte sie in den Gang vor ihrer Zelle.
Keine zehn Minuten später stand Klara unter freiem Himmel, drückte sich eng an die Hauswand hinter einige überquellende Mülltonnen und warf einen Blick zurück auf den schlichten Betonbau. Die Sirene des Alarms war bis hier draußen zu hören, aber sie vermuteten sie offenbar noch innerhalb des Gebäudes, denn er war bisher nicht auf den Rest der Insel ausgeweitet worden.
Klaras Brustkorb schmerzte immer noch von dem Schlag des Wachmanns. Hinter den Scheiben konnte sie Männer mit Gewehren die langen Gänge
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