Judaswiege: Thriller
Pharaos auf der harten Pritsche ihrer Zelle und zeichnete in Gedanken den Grundriss des Gefängnisses an die Zimmerdecke. Stein hatte die Pläne in seiner Aktentasche gehabt, und sie hatte sich in der verbleibenden Dreiviertelstunde ihres »Anwaltsgesprächs« bemüht, sie so präzise wie möglich auswendig zu lernen. Zwölf Zellen auf jeder Seite des Ganges, beginnend bei der flirrenden Leuchtstoffröhre. Am kleinen Stockwasserfleck nach links in den Ostflügel, Richtung Kantine, die einen Stock tiefer lag. Am Riss ins Kühlhaus.
Klara hatte eine relativ genaue Vorstellung davon, wie sie von der Insel fliehen konnte, diesen Teil des Plans hatte sie mit Stein minutiös ausgearbeitet, aber noch hatte sie keine Idee, wie es ihr gelingen sollte, ihre Zelle zu verlassen. Sie hatte über eine halbe Stunde darauf verschwendet zu versuchen, das Schloss mit dem Draht zu knacken, den ihr Stein mitgegeben hatte, aber offensichtlich hatten die Konstrukteure daran gedacht, dass Drähte unter Strafgefangenen nicht gerade Mangelware sein würden. Es war ja auch nicht weit hergeholt, wenn man etwa an den Drogenumschlag über den Wäschedienst dachte, gestand sich Klara ein und spielte mit dem zweiten Gegenstand, den der Anwalt ihr mitgebracht hatte: ein starkes Pfefferspray, damit sie im Fall der Fälle jemand ausschalten konnte, ohne ihm dauerhaften Schaden zuzufügen.
Denn Steins Plan zu ihrer Verteidigung deckte nach seinen Angaben zwar ihre Flucht aus dem Gefängnis, aber keinesfalls die schwere Körperverletzung an einem Justizbeamten. Wozu ließe sich Pfefferspray noch einsetzen?, fragte sich Klara. Sie drehte das kleine Sprühfläschchen und las die Herstellerangaben. Vorsicht! Extrem reizend! Leicht entflammbar! Darf nicht in die Hände von Kindern gelangen. Leicht entflammbar? In Klaras Kopf fügten sich mehrere Puzzlestücke ihrer unterschiedlichen Fluchtpläne aneinander, und auf einmal wusste sie, wie sie aus der Zelle fliehen würde.
Eine knappe halbe Stunde später fühlte sich Klara so bereit, wie es in dieser Situation möglich war. Zunächst entledigte sie sich sämtlicher Kleidungsstücke bis auf ihre Schuhe. Sie wusste, dass Männer grundsätzlich befangen auf weibliche Nacktheit reagierten, sie machte sie unsicher und ließ sie eine drohende Gefahr viel weniger präsent spüren. Dann kam der akrobatische Teil: Vorsichtig stützte sich Klara in der Ecke des Raumes mit dem Fuß an die eine und mit der Hand an die andere Wand. Indem sie genügend Druck ausübte, würde sie die Wand hinaufklettern können, getragen durch ihre eigene Muskelkraft, die wie ein Schraubstock zwischen den beiden Wänden wirkte. Als sie hoch genug hinaufgestiegen war, hielt sie das Feuerzeug unter den Rauchmelder. Eigentlich eigentümlich, dass in Gefängnissen immer noch geraucht werden durfte, aber wahrscheinlich war die Angst der Gefängnisdirektoren vor der Unruhe größer als vor den Gesundheitsschäden.
Keine zwei Minuten und eine schmerzhafte Brandwunde an ihrem Daumen später ertönte das schrille Läuten des Feueralarms. Klara sprang von der Wand und landete in der Mitte des Raumes. Jetzt musste sie sich beeilen. Mit einem Plastikbecher schöpfte sie Wasser aus der Kloschüssel und tränkte eine gerade Spur am Fußende der Matratze. Dann hockte sie sich neben das Bett und wartete auf die Schritte der Wachleute, die kamen, um nachzusehen, warum der Feueralarm ausgelöst worden war.
Als sie die Männer mit rennenden Schritten herannahen hörte, hielt sie das Feuerzeug vor die Düse des Pfeffersprays und erzeugte eine Stichflamme. Das Gas reizte ihre Augen, sie begannen heftig zu tränen. Klara richtete sie auf das Fußende der Matratze, jenseits der nassen Barriere, und die trockenen Fasern des billigen Stoffs fingen sofort Feuer. Danke an die Sparfüchse in der Stadtverwaltung, dachte Klara und betrachtete die Flammen. Ja, für die paar Sekunden, die sie benötigte, sah es hinreichend dramatisch aus. Natürlich würde der hauptsächlich auf entzündeten Gasen basierende Brand niemals ein großflächiges Feuer auslösen, aber es ging ja auch nur darum, die Justizbeamten davon zu überzeugen, dass so etwas passieren könnte.
Die Schritte waren jetzt fast auf Höhe ihrer Zellentür angekommen. Zeit für Teil zwei der Show, erinnerte sich Klara und legte sich auf den Teil des Betts, der nicht brannte, was von der Tür aus aber wohl kaum zu erkennen war. Die Schritte wurden langsamer. Jetzt. Klaras Gliedmaßen begannen scheinbar
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