Judaswiege: Thriller
fuhr.
Casper war eine Kleinstadt mit etwas über fünfzigtausend Einwohnern, die Fahrt dauerte keine fünf Minuten, und es war nicht weiter schwer zu erraten, wohin Theresas Ausflug führen würde. Casper besaß nur drei Attraktionen für Jugendliche, und das waren die drei Kinos, von denen das Rialto für ein Teenie-Knutsch-Treffen das geeignetste war.
Als Theresa in das Parkhaus einbog, auf das ihre Mutter bestand, fuhr er weiter geradeaus. Es gab keinen Grund, auf den letzten Metern noch Verdacht zu erregen, obwohl er das für äußerst unwahrscheinlich hielt. Kameras besaß das Parkhaus keine, er hatte nie verstanden, warum es ihrer Mutter ein Plus an Sicherheit vorgaukelte. Er stellte den Lieferwagen in einer Seitenstraße ab und ging ohne übertriebene Eile zum Rialto.
Da er nicht vorhatte, einen Film anzuschauen, kaufte er einen Softdrink und eine Tüte Popcorn und platzierte sich an einem der Stehtische, über denen Schirme einer Eismarke gespannt waren, obwohl sie im überdachten Vorraum standen. Theresa kam fünf Minuten später, ihren Brad schon im Schlepptau, sie kauften zwei Karten für die frühe Abendvorstellung. Er lächelte, als er an ihr vorüberging und den Duft ihres frisch aufgelegten, billigen Mädchenparfums roch.
Eine weitere Stunde verbrachte er Comics lesend hinter dem Steuer seines Wagens, dann begann er seine Arbeit. Er legte ein Paar frische Gummihandschuhe an und verklebte sie mit seinen Anorakärmeln. Dem Erfinder des Gopher-Tape gehört was verliehen, dachte er, als er das Sprengstoffpaket aus dem Gepäckraum in einer Sporttasche mit 49ers-Aufdruck verstaute. Er schloss den Wagen ab und machte sich auf den Weg zum Parkhaus. Keine zwanzig Minuten später saß er wieder hinter dem Steuer und wartete auf Theresa.
Ihr Date mit Brad dauerte länger als erwartet. Erst um Viertel vor acht kam das Pärchen aus dem Rialto und machte sich auf den Weg zum Parkhaus. Der Mann in dem Lieferwagen fluchte und hieb mit dem Handballen auf das Lenkrad. Der Junge war noch nie mit ihr nach Hause gefahren. Der rote Toyota tauchte keine zwei Minuten später auf. Er folgte ihm in sicherem Abstand, und beinahe wäre ihm ein Fehler unterlaufen, als Theresa den Wagen auf den Parkplatz eines Pizzaschnellrestaurants mit dem vielsagenden Namen Papa John’s lenkte. Er fuhr daran vorbei. Warten, immer nur warten. So langsam wird es Zeit, Madame, dass wir uns endlich kennenlernen. Nur einen Moment lang überlegte er, ob es sich lohnen würde, beide mitzunehmen. Aber nein, das kam nicht infrage. Er freute sich schon so lange auf Theresa, nichts sollte die Magie zwischen ihnen stören. Und schon gar nicht Brad. Da er sie nicht hatte hineingehen sehen, standen sie wohl auf dem Parkplatz und knutschten. Der Mann lächelte ein dünnes Lächeln mit spitzen Lippen.
Erst um Viertel vor neun setzte Theresa Brad vor seiner Haustür ab. Durch das Heckfenster des Toyota sah er einen langen Kuss, den keiner von beiden beenden wollte. Immer wieder trennten sich die Köpfe, um kurz darauf erneut zueinander zu finden, ein immergleiches eintöniges Vor und Zurück. Lächerlich. Der Mann kaute an den Fingernägeln, wobei er peinlich genau darauf achtete, keine scharfen Kanten zurückzulassen, die später das Gummi seiner Handschuhe verletzen könnten.
Als Brad endlich die Autotür zuschlug und Theresa eine Kusshand zuwarf, ließ er den Motor an und überprüfte ein letztes Mal, ob alles auf dem Beifahrersitz lag: Gasmaske, Handy, Handschuhe, Medizin. Als ihr Wagen vom Bordstein rumpelte, griff er zum Telefon.
K APITEL 10
Juni 2011
10th Street Southeast, Washington DC
Die Sinne leicht getrübt von einem Bier zu viel bei Jay, rollte Sam in eine Parklücke direkt vor seinem Haus in Washington. Als er die Automatik auf »Parken« stellte, schwankte der Wagen wie eine verirrte Eisscholle auf dem Potomac. Wie kann es eigentlich angehen, dass der zentral organisierte Einkauf immer noch diese grässlichen Schüsseln bestellt?, grummelte Sam und schwang sich aus dem tiefen Komfortsitz. Ist ja nicht auszuhalten. Er trat mit der Schuhsohle gegen den Reifen, ohne sich wirklich zu ärgern, und sog die kühle Nachtluft in seine Lungen.
Wenigstens bei Jay konnte man seine Feierabendzigarette noch genießen. Er tastete in der Brusttasche seines Hemds nach den Kippen und zündete sich die dritte Sünde seines Tages an. Scheiß drauf, heute ist eine Ausnahme, entschied er und ging die fünf Stufen zu seiner Haustür hinauf. Das
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