Judaswiege: Thriller
gefunden hatte. Mit einem Stock, den sie aufgelesen hatte, legte sie die Leitung frei, entfernte die Isolierung und trennte das Kabel. An der Hintertür überprüfte sie, ob die Diode tatsächlich ausgegangen war, bevor sie den Dietrich zum zweiten Mal ansetzte. Zum Öffnen der Tür brauchte sie weniger als zehn Sekunden. Anstatt das Haus zu durchsuchen, ging sie schnurstracks ins Schlafzimmer, in dem der Computer stand. Sie hatte kein Interesse an Agent Browns Privatleben oder seinen schmutzigen Bestellungen in einem einschlägigen Versandhauskatalog.
Der Mond tauchte den Schreibtisch in fahles Licht. Wesley war offensichtlich ein Nerd, wie er im Buche stand: Auf dem Schreibtisch türmten sich Zettel und die Reste von mindestens drei Fast-Food-Mahlzeiten. Rechts neben der schmierigen Tastatur lag ein Baseball, unter dem Quittungen gestapelt waren, die Klara als Erstes durchsah. Also doch kein schmutziger Versandhändler, schmunzelte Klara, und erinnerte sich, warum sie gekommen war. Sie hockte sich unter den Schreibtisch und entfernte mit einem kleinen Schraubenzieher die Abdeckung des PCs.
Fjodor, ein alter Bekannter und Elektronikexperte, hatte ihr genau beschrieben, wo sie das Gerät anschließen musste, um die gesamte Festplatte zu kopieren. Während Fjodors Kasten die Daten übertrug, hockte sie unter dem Schreibtisch im Schatten, unsichtbar und regungslos. Zwanzig Minuten später reparierte sie die Stromleitung und verwischte die Grabungsspuren mit einem Zweig. Sissi, die Einbrecherkönigin, war niemals hier gewesen. Niemand war in dieser Nacht hier gewesen, nur ein Schatten von Niemand namens Sissi Swell.
K APITEL 9
November 2010
Casper, Wyoming
Theresa packte ihre Sporttasche und lief die Treppe hinunter, der hellblonde Pferdeschwanz wippte bei jeder Stufe fröhlich auf und ab.
»Mom, ich bin beim Training. Danach gehe ich mit Brad ein Eis essen, in Ordnung?«
»Fahr bloß nicht wieder eine Delle in den Wagen«, schimpfte ihre Mutter halb im Scherz, während sie ein Blech Kirschkuchen in den Ofen schob. »Geh nur, aber komm nicht zu spät, versprochen?«
Theresa schnappte den Autoschlüssel von der Küchenablage und küsste ihre Mutter auf die Wange: »Keine Sorge, Mom. Es ist nur ein Eis.«
Natürlich glaubte ihr das die Mutter nicht. Brad war ihr erster richtiger Freund, und ihre Mutter verstand das gut genug, um ihr nicht das Unausweichliche zu verbieten. Sie hatte ihr sogar Kondome besorgt aus der Drogerie, damit sie »keine Dummheit beging«, wie sie sich ausdrückte.
Sie warf die Sporttasche auf den Rücksitz des roten Toyota, schwang sich hinter das Lenkrad und verstellte den Sitz, damit ihre langen Beine im Fußraum Platz fanden. Langsam rollte sie rückwärts aus der Einfahrt auf die ruhige Straße des Wohngebiets zu und gab Gas. Den schwarzen Lieferwagen, der fast zeitgleich mit ihr anfuhr, bemerkte Theresa nicht.
Zwanzig Minuten später erreichte Theresa die Sporthalle. Sie prüfte zweimal, ob sie den Wagen auch wirklich abgeschlossen hatte, bevor sie sich auf den Weg zu ihren Hockeyfreundinnen machte. Sie hatten dieses Jahr die Stadtmeisterschaft gewonnen und würden sicher noch einiges erreichen, zumindest hatte sich ihr Trainer das fest vorgenommen. Sie begrüßte die anderen mit einem High five, und gemeinsam betraten sie die Halle.
—
Der Mann in dem schwarzen Lieferwagen, der auf der anderen Straßenseite stand, ärgerte sich, dass die Sporthalle kein Parkhaus hatte. Er fischte ein Comicheft vom Beifahrersitz und richtete sich auf eine längere Wartezeit ein, denn er wusste, dass Theresas Training mindestens anderthalb Stunden dauern würde. Manchmal kamen die Mädchen auch erst später, wahrscheinlich redeten sie in der Umkleidekabine über ihre Jungs. Theresa war ein hübsches Mädchen, er freute sich schon auf sie. Und er konnte warten, laut seinem Plan musste er das sogar.
Dann musste eben so lange der Comic herhalten: Kawumm, kawumm, schleuderte Magneto ein Auto gegen eine Häuserwand. Er war in Rage.
Eine Stunde und vierundvierzig Minuten später verließ Theresa gemeinsam mit ihrer Freundin Allison die Sporthalle. Er legte den Comic zur Seite und startete den Motor, in den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille spiegelte sich die winterliche Abendsonne, als er wendete, um dem roten Toyota zu folgen. Aha, heute ist Bradley-Tag, vermerkte der Mann, als Theresa ihre Freundin ungewöhnlich zielstrebig zu Hause absetzte und weiter Richtung Innenstadt
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