Judaswiege: Thriller
nette kleine Häuschen in einem der besseren Viertel der Hauptstadt war der einzige Luxus, den sich Sam in seinem sonst recht kargen Leben gönnte. Und ein verdammt teurer Luxus, dachte er, als er, die Zigarette zwischen den Lippen, die Tür aufschloss.
»Verdammt, Sam, du sollst sie genießen und nicht nebenbei rauchen. Du weißt doch, wohin das führt.« Er hörte Klaras Stimme, als stünde sie neben ihm. Seufzend drehte er den Schlüssel bis zum Anschlag und betrat sein Zuhause. Er hängte den Mantel ordentlich an die Garderobe und ging schnurstracks in die Küche, um sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Der Verschluss zischte verheißungsvoll, er nahm einen schnellen Schluck und zog noch ein letztes Mal an der Zigarette, bevor er sie im Aschenbecher ausdrückte. Finster wie in einem Pavianarsch, dachte Sam und legte die Hand auf den Lichtschalter.
»Lass das Licht aus, Sam.«
Schon wieder Klara. Kannst du nicht endlich verschwinden. Oder? War das möglich? Im schlimmsten Fall machte er sich jetzt gleich vor seinem angetrunkenen Alter Ego lächerlich. Er beschloss, der Stimme zu antworten.
»Hallo, Klara.«
»Hallo, Sam.«
Wenn sich das noch in seinem Kopf abspielte, hatte ihm Jay etwas ins Bier gemischt. Wo war sie? Sam wusste, dass er niemals erraten würde, wo sich Sissi versteckte, es sei denn, sie entschied, dass er es wissen musste. Nicht einmal in seinem eigenen Haus. Er ließ das Licht aus und setzte sich auf die schwarze Ledercouch, die dringend neu bezogen werden musste.
»Ich habe dir geschrieben.«
»Ich weiß«, antwortete sie von irgendwo. Konnte sie nicht wenigstens jetzt zumindest einmal zweisilbig antworten? Wieso musste er ihr alles aus der Nase ziehen? Vielleicht, weil er genau das verdient hatte?, seufzte Sam.
»Wieso bist du gekommen, Sissi? Warum jetzt?«
»Ich möchte, dass du mir eine Frage beantwortest, Sam.«
Aha. So wie er Klara kannte, meinte sie es wörtlich: eine Frage. Ich habe tausend Fragen an dich, aber man muss nehmen, was man kriegen kann.
»Also gut, Sissi. Aber quid pro quo, wie immer. Du eine Frage, ich eine Frage. Abgemacht?«
Sissi sagte nichts. Sam trank einen Schluck Bier und zündete sich eine weitere Zigarette an. Die Glut erhellte seine Hand, wenn er daran zog, und der Tabak knisterte. Es war das einzige Geräusch in der Dunkelheit seines Stadthauses, denn Uhren duldete Sam ausschließlich im Büro.
»Okay«, lautete ihre knappe Entscheidung nach einer halben Ewigkeit. Ihre Stimme klang wie in seinen Erinnerungen, sie hatte sich kein bisschen verändert. Und sie redete immer noch am liebsten in Sätzen, die jeweils aus nur einem Wort bestanden. Reden war einfach nicht ihre Passion.
Sam inhalierte den letzten Rauch seiner Zigarette und warf die Kippe in die leere Bierdose. Es zischte, als die Flüssigkeit die Glut löschte.
»Jetzt, wo wir uns handelseinig sind, mach bitte das Licht an, Sissi. Das ist doch albern«, forderte Sam. Er glaubte einen leichten Luftzug zu spüren.
Sam blinzelte in die viel zu helle nackte Glühbirne, die er zu seinem großen Ärger immer noch nicht gegen eine ordentliche Lampe ausgetauscht hatte und die er selbst deshalb niemals einschaltete. Sissi saß ihm gegenüber auf einer Kommode und lächelte spöttisch zur Decke. Sie hatte sich wirklich kein wenig verändert in den letzten fünf Jahren: Braune Locken säumten ein mädchenhaftes Gesicht, das jeder Balletttänzerin gut gestanden hätte.
Er dachte an die Momente mit ihr auf dem Sofa vor dem Kamin, wie sie mit ihm in einen Wollpulli gekuschelt und die Beine angewinkelt Rotwein getrunken hatte. Sam fand sie immer noch wunderschön. Leider ließ ihr Gesichtsausdruck vermuten, dass seine Wiedersehensfreude keinesfalls erwidert wurde. Sissi sah in ihrer Arbeitskleidung, einem schwarzen Anzug mit eingenähten Taschen, eher aus wie eine Mischung aus Spiderman und Navy-SEAL, nur die Kapuze hatte sie abgezogen. Sie hatte sich wirklich kein bisschen verändert. Zum Glück. Nur ihre Meinung von Sams Loyalität war den Bach runtergegangen. Kein Glück. Sam blinzelte erneut und blickte zu ihr rüber. Ihr Gesicht war reglos.
»Stell deine Frage, Sissi.«
Sie schaute ihm in die Augen. Da war keine Spur von Zuneigung oder Freundschaft, eher … Teilnahmslosigkeit, befand Sam.
»Warum, Sam? Warum«, flüsterte sie. »Das ist alles, was ich im Moment wissen möchte.«
Auf diese Frage hatte sich Sam vorbereitet, seit Klara verurteilt worden war. Er hatte sie so oft im
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