Judaswiege: Thriller
fest und stemmte sich mithilfe seines Stocks aus dem Stuhl. Er lief um den halben Tisch, bevor er mit dem Gehstock auf Klara deutete: »Und hat Ihr Sam dazu vielleicht irgendeine Idee?«, fragte der gewiefte Anwalt, der sie natürlich längst durchschaut hatte.
»Na ja«, gab Klara zurück. »Es ist aber bisher nur eine Idee.«
—
Für Pia war an Schlaf nicht zu denken. Seit Stunden versuchte sie verzweifelt, Adrian zu erreichen, aber sie bekam immer nur seine Mailbox an die Strippe. Und obwohl sie wusste, dass es der größte Fehler war, hatte sie nicht nur vierzehn Nachrichten hinterlassen, sondern stand jetzt, um 00:51 Uhr, vor seiner Haustür und starrte auf das Klingelschild, hinter dessen vergilbter Plastikabdeckung »Bingen« kaum noch zu erkennen war.
Zum gefühlt tausendsten Mal an diesem Abend aktivierte sie das Display ihres Handys, um sich zu vergewissern, dass sie keinen Anruf von ihm verpasst hatte. Natürlich hatte sie das nicht, denn selbst in der U-Bahn hatte sie das Gerät wie eine Stiege rohe Eier vor sich hergetragen, um maximalen Empfang sicherzustellen. Falls er sie erreichen wollte. Es hatte nichts genützt, der erhoffte, erlösende Anruf war ausgeblieben.
Sollte sie nun klingeln? Wenn du das nicht willst, hättest du dir diese Aktion auch sparen können, Pia, schalt sie sich selbst. Der Name starrte sie an. Sie starrte noch einige Sekunden zurück und drückte dann so kurz wie möglich. Vielleicht hörte er es nicht, und sie konnte wieder gehen, ohne dass etwas passierte. Ohne dass sie ihm zu sehr auf die Pelle rückte, was ihre größte Angst war. Und tatsächlich rührte sich gar nichts, kein Summer und kein schlaftrunkenes Hallo aus der Gegensprechanlage.
Pia lief auf die andere Straßenseite und scannte den vierten Stock auf Anzeichen von Leben. Licht Fehlanzeige. Die Fenster von Adrians Wohnung waren dunkel, stockfinster. Sie lief zurück zum Klingelschild und drückte etwas fester, als sie plötzlich ein Geräusch hörte. Schritte. Jemand kam die Straße herunter, die um diese Uhrzeit komplett verlassen dalag. Zumindest während der letzten fünf Minuten hatte sie bis auf ein paar wenige nachtstreunende Autos kein Geräusch vernommen.
Pia linste aus dem Schatten des Hauseingangs auf die Straße. Eine dunkle Gestalt lief auf der anderen Straßenseite, ging langsam und leicht gebeugt. Ein betrunkener Nachtschwärmer auf der Suche nach leichter weiblicher Beute hatte ihr gerade noch gefehlt, dachte Pia und drückte sich wieder in den Schatten der Häuserwand. Aber die Gestalt lief nicht vorbei. Im Gegenteil. Hatte er sie gesehen? Er kam schnurstracks auf Adrians Haus zu, direkt in ihre Richtung. Erinnere dich an den Selbstverteidigungskurs, Pia. Nur nicht ängstlich wirken, und halt dich im Licht. Mit einem flauen Gefühl im Magen trat sie in den Schein der Straßenlaterne, als sie plötzlich bemerkte, dass die dunkle Gestalt gar kein Unbekannter war. Adrian fummelte gerade ein Schlüsselband aus seiner Hosentasche, er hatte sie noch nicht bemerkt.
»Hallo, Adrian«, sagte sie und trat ihm entgegen. Er schien erschrocken, sie zu sehen.
»Pia«, stammelte er. »Was machst du hier?« Der Schlüssel baumelte jetzt in seiner rechten Hand.
»Ich dachte, du könntest vielleicht etwas Gesellschaft vertragen«, bemerkte sie und fand es im gleichen Augenblick das Dümmste, was ihr hätte einfallen können.
»Ich fürchte, dass ich heute keine angenehme Gesellschaft bin, Pia. Entschuldige bitte.« Er drehte sich von ihr weg und steckte den Schlüssel ins Schloss. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Adrian, bitte«, sagte sie. Er drehte sich zu ihr um, und seine grünen Augen blitzten im warmen Kunstlicht der Hausbeleuchtung. Er sah traurig aus, unendlich traurig.
»Adrian«, begann sie einen zweiten Anlauf. »Es ist nicht wichtig für mich, ob du fröhlich bist oder traurig, ob du verzweifelt bist oder Bäume ausreißen könntest.«
Adrian beäugte sie skeptisch. War sie zu früh mit ihren Gefühlen? War sie zu schnell für ihn in dieser Situation? Aber es war nun einmal die Wahrheit, und die Wahrheit konnte doch nicht schlecht sein, das zumindest hatte ihre Großmutter immer gesagt. Seid ehrlich zueinander, dann wird sich alles finden, war eine Lebensmaxime, mit der sie lange und vor allem glücklich gelebt hatte.
»Ich bin hier, weil du, Adrian, der Mann bist, mit dem ich leben möchte. Egal ob du glücklich oder traurig bist. Ich liebe dich, Adrian von Bingen.«
Sie sah
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