Judaswiege: Thriller
Sie mussten unbedingt das Tempo erhöhen, sonst würden sie beim nächsten Mal wieder nur eine Leiche bergen können, statt eine junge Frau zu retten. Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Summer der Tür ertönte. Pia stand bereits an der Tür, um sie in Empfang zu nehmen.
»Wir haben grünes Licht, Pia. Kommen Sie mit«, forderte Klara und ließ sie im Eingang stehen. Mittlerweile kannte sie sich in der Kanzlei gut genug aus, um Steins Büro alleine zu finden.
»Stein, wir können los«, platzte sie in sein Büro.
Ohne sich auch nur im Mindesten aus der Ruhe bringen zu lassen, legte der Anwalt eine Akte beiseite und blickte amüsiert auf: »So, können wir das, Miss Swell? Wissen Sie, wenn Sie mir diese altkluge Bemerkung gestatten möchten, ich habe festgestellt, dass langsam manchmal schneller ist. Und, wenn Sie mir zudem den Hinweis gestatten, diese Hektik ist nicht gut für Ihr Herz.«
Klara atmete einmal tief durch. Er hatte ja recht. Mittlerweile hatte auch Pia, wie immer auf High Heels, ihren Weg in das Büro gefunden.
»Da wir nun vollzählig sind«, begrüßte Stein seine Assistentin, »kann ich Ihnen verraten, dass meine Taktik steht. Miss Lindt ist ebenso eingeweiht, wir können also in der Tat, wie Sie sich ausdrückten, ›los‹.« Der grauhaarige Anwalt genoss es sichtlich, Klara mit seiner überlegenen Rhetorik auflaufen zu lassen, und sie konnte es ihm nicht einmal verübeln.
»Na dann«, kommentierte sie schlicht und wedelte mit den Autoschlüsseln. »Aber ich fahre, Ihr Rolls ist zwar eine schöne Dschunke, aber mit Edward brauchen wir ja bis heute Mittag.«
Pia grinste, und Stein war sichtlich unwohl bei dem Gedanken, sich jemand anderem als seinem langjährigen Fahrer Edward anzuvertrauen, aber er willigte zähneknirschend ein. Gemeinsam verließen sie das Büro und stiegen in Klaras Mercedes.
—
Pia war froh, als sie endlich angekommen waren. Klara wird ihrem Ruf wirklich gerecht, das muss man ihr lassen, beruhigte sie sich, als sie mit grüner Gesichtsfarbe im Financial District aus dem Auto stieg. Ihrem Chef ging es nicht besser, denn er verkündete trotz ähnlich blasser Haut wie Pia noch einigermaßen fröhlich: »Sehen Sie, Miss Swell, langsamer wäre schneller gewesen, denn jetzt muss ich Sie um einen kleinen Spaziergang bitten, bevor wir uns die Freunde von Truthleaks vorknöpfen. Mit diesem flauen Gefühl im Magen wird es mir nicht möglich sein, Sie von unserer Sache zu überzeugen.«
Klara fluchte leise vor sich hin, während sie den Wagen abschloss und sichtlich genervt Richtung Battery Park marschierte. Stein und Pia folgten ihr in gemächlichem Tempo, sein Stock klackte auf dem Asphalt in schöner Regelmäßigkeit. Der Battery Park war eine der kleineren Grünanlagen im geschäftigen Manhattan und wurde nicht nur von den Mitarbeitern der nahen Wall Street gerne genutzt. Wie überall in den Parks der Großstadt fanden sich auch hier Horden von Müttern auf der Suche nach frischer Luft, Touristen, die begeistert jede Kleinigkeit knipsten, junge Skateboarder und allerlei skurrile Gestalten. Als sie an einem grauhaarigen Mann vorbeiliefen, der in der Hoffnung auf ein paar Cent »Don’t cry for me Argentina« gar nicht mal schlecht auf einer Klarinette intonierte, fragte Pia: »Wollen wir noch einmal die Taktik besprechen, Mr. Stein?«
»Gerne, Miss Lindt. Obwohl ich Ihnen schon heute Morgen gesagt habe: Wenn Sie nicht bereit sind, mit einem der Programmierer ins Bett zu gehen – was ich Ihnen weder zutraue noch jemals von Ihnen verlangen würde –, hilft uns nur Druck, Druck, Druck.«
»Heute keine Spitzfindigkeiten?«
»Nein. Anwälte wie ich sind der Grund, warum diese Leute ihre Plattform gegründet haben. Sie wollen dem Politischen und Journalistischen etwas Ungefiltertes, Wahres entgegensetzen. Wir sind der Feind. Und eine schnelle Niederlage erreichen wir nur über das eine: noch mehr Druck. Leider, wie ich hinzufügen möchte.«
»Und ich soll nichts weiter tun, als diese Nummer anrufen, wenn Sie mir ein Zeichen geben?«, fragte Pia. Klaras Wut schien verflogen, sie war stehen geblieben, um sich wieder zu ihnen zu gesellen.
»Korrekt, Miss Lindt«, antwortete Stein und erklärte ihr den Rest flüsternd, sodass Klara unmöglich ein Wort davon mitbekommen konnte.
»Wollen Sie mir Ihre Taktik nicht anvertrauen? Haben Sie etwa Bedenken, ich könnte Ihr anwaltliches Kartenhaus durch eine unbedachte Ermittlerinnenfrage zunichte machen?«, fragte Klara.
»Einer
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