Judaswiege: Thriller
Stuart und lotste sie in einen der Aufzüge. Er drückte den Knopf für den dritten Stock, und als sich die Kabine mit einem laut scheppernden »Diiing« öffnete, bedeutete er ihnen, den Weg nach links einzuschlagen.
Die Büroräume von Truthleaks waren seelenlose Gänge, überall standen Kartons, es roch nach Pizza und Chop Suey. Jeremy führte sie in einen ebenso schmucklosen, aber immerhin aufgeräumten Konferenzraum.
»Bitte entschuldigen Sie, Mr. Stein, es ist alles noch etwas provisorisch bei uns. Wir sind gerade erst eingezogen.«
Stein quittierte die Bemerkung mit einem undefinierbaren Grummeln. Alle nahmen Platz. Bis auf Klara, die an der breiten Fensterfront stehen blieb und den Ausblick genoss. Ihre Hände steckten in den Taschen ihrer Lederjacke, und sie strahlte mit jeder Pore Abneigung aus. Stuart beäugte sie kritisch, ließ sich aber zu keiner Bemerkung hinreißen. Nachdem die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht worden waren und sie dankend die Angebote von Keksen und Kaffee abgelehnt und stattdessen um Wasser gebeten hatten, fragte Jeremy abermals nach dem Grund für ihren Besuch. Diesmal grummelte Stein nicht mehr, seine klare und überaus präzise Stimme war schneidend scharf: »Mr. Stuart, Sie vertreten Truthleaks in allen rechtlichen Fragen, Sie sind vollumfänglich handlungsbevollmächtigt, wie ich mich erkundigt habe.«
»Soweit es die Satzung unserer gemeinnützigen Organisation zulässt, ja, das ist korrekt, Mr. Stein.«
»Dann muss ich Sie hiermit in Kenntnis setzen, dass wir gemäß dem Homeland Security Act von 2002, Bill Number H.R.5710, Zugriff auf Ihre Serverdaten benötigen.«
Jeremy Stuart faltete die Hände über den Knien: »Ich befürchte, das wird nicht möglich sein, Mr. Stein.«
»Sie wissen ebenso gut wie ich, dass Sie keine Wahl haben.« Stein bedeutete Pia, einige vorbereitete Dokumente aus der kalbsledernen Aktentasche zu ziehen. Sie stand auf und überreichte ihm die offiziellen Papiere mit einem knappen Lächeln auf den Lippen.
Jeremy Stuart musterte die Dokumente, die neben dem Siegel von Steins Kanzlei auch das des FBI trugen, gründlich. Ein wenig zu gründlich, fand Pia. Ihr gefiel das Lächeln, das nun um seine Lippen spielte, gar nicht.
»Nun, Mr. Stein, das sind ja wirklich schwere Geschütze, die Sie da auffahren …« Er kratzte sich an der Nase. »… aber ich muss dennoch ablehnen, fürchte ich.«
Stein beugte sich nach vorne: »Sie wissen doch ganz genau, dass Ihnen die Gesetzesnovelle überhaupt keinen Spielraum lässt. Warum diese Nebelkerzen, Stuart? Ich warne Sie: Führen Sie mich nicht an der Nase herum.« Stein fuchtelte mit seinem Stock gefährlich nahe vor dem Gesicht des Firmenanwalts herum.
»Sie mögen schon recht haben, Stein. Für den Fall, dass die Server auf amerikanischem Boden stünden. Das tun sie aber nicht«, erklärte Stuart und reckte den Hals. Das wird Stein nicht gefallen, seufzte Pia innerlich. Das wird ihm gar nicht gefallen. Klara fuhr die automatische Jalousie an der Fensterfront hinunter, was ihr einen bösen Blick von Stuart einbrachte. Sie beeilte sich, die Lamellen wieder zu öffnen, und schaute ihn entschuldigend an. Sie kann schon sehr unschuldig rüberkommen, wenn sie will, unsere Sissi mit ihren braunen Locken, die in der Vorabendsonne rötlich glänzen, vermerkte Pia.
»Und wo, wenn Sie mir die Frage gestatten«, fuhr Stein, der sich gefangen hatte, fort, »stehen dann Ihre Server? Auf Jamaika, oder was?«
»Nein, Mr. Stein.«
»Wo?«, bellte Stein und wedelte wieder mit seinem Stock.
»Ich muss Ihnen das nicht sagen, das wissen Sie.«
»Aber Sie werden es mir sagen.«
»In der Schweiz.«
Stein stöhnte. Hätten wir uns auch denken können, dass sie die Dinger nicht gerade in dem Industriegebiet neben Homeland Security untergestellt haben. Pia hatte den Sinn ihres heutigen Termins ohnehin nicht wirklich verstanden. Glaubte Stein wirklich, dass Truthleaks die Daten freiwillig herausrücken würde? Sie hatte da ihre Zweifel, während Steins Optimismus angeschlagen, aber keineswegs besiegt schien.
»Dann eben auf die harte Tour«, murmelte er und sagte dann etwas lauter: »Miss Lindt, der Anruf bitte.«
»Natürlich«, antwortete Pia und wählte von ihrem Handy die Nummer, wie sie es zuvor besprochen hatten. Während das Telefon die Verbindung herstellte, setzte Stein Jeremy Stuart weiter unter Druck: »Bin ich recht informiert, dass Sie hauptberuflich für die Anwaltskanzlei Hackmann, Baron
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