Judaswiege: Thriller
dem zähen Stück Trockenfleisch, da stand sie plötzlich da, Tammy Walker, die Auserwählte, direkt vor dem Personaleingang des Hotels. Hellbuoy rutschte nervös auf seinem Sitz herum. Er legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm: »Mach einfach nur die Bilder, okay?« Der Junge nickte. Tammy Walker machte eine Ausbildung in dem Hotel, sie hatte wunderschönes, schwarzes glattes Haar und einen zierlichen sehnigen Körper. Er verstand, warum sie gerade sie ausgewählt hatten. Zwar wussten sie nicht, worum es wirklich ging, aber das Durchhaltevermögen und die Zähigkeit standen ihr ins Gesicht geschrieben. Ihn störte bei der Wahl ja auch nur das Hotel, aber auch das war nur eine Komplikation, die er meistern musste.
Das zweite große Problem war die Tatsache, dass sie bei ihren Eltern wohnte in einem dieser schnieken Vororte, am Ende einer Sackgasse, wo sein Van binnen Minutenfrist auffallen würde. Sie waren misstrauisch gegenüber Fremden in diesen schnieken Vororten. Aber er hatte schon einen Plan. Ihre dunklen Augen lächelten genau in diesem Moment aus einem perfekt natürlich geschminkten Gesicht in die Kamera.
»Was denkst du?«, fragte er Hellbuoy, als das Klicken des Auslösers eine Pause einlegte.
»Sie ist perfekt«, sagte Hellbuoy. Seine Stimme klang belegt.
—
Sam Burke landete erst nach 21 Uhr auf dem Reagan National Airport und brauchte mit seinem Wagen eine halbe Ewigkeit in die Stadt. Es nieselte und war viel kälter als in Louisiana. Dort zu warm, hier zu kalt, fluchte er, als er feststellte, dass er automatisch die Route zu Jay eingeschlagen hatte. Und er hatte nicht einmal drüber nachgedacht, schimpfte sich Sam. Aber wo ich schon einmal da bin, dachte er sich und parkte den Wagen in einer Seitenstraße. Er musste sowieso nachdenken, die nächsten Wochen waren die entscheidende Phase in ihrem Fall.
Er stieg aus dem Auto und tastete in seiner Jackentasche nach der Zigarettenschachtel, die er am Flughafen gekauft hatte. Du solltest nicht im Gehen rauchen, hörte er Klara sagen, genieß sie lieber. Sonst lass uns stehen bleiben. Ach Sissi, dachte er und zündete sie an.
Er inhalierte den Rauch in der nassfeuchten Luft und blies den Rauch gen Himmel. Trotz des Regens waren einige Sterne am Firmament zu erkennen, sie erinnerten ihn an Fähnrich Crusher. Bei dem Gedanken an seinen Kollegen musste er lächeln. Er hatte ihn fast schon vermisst, diesen vorwitzigen Jungen, der gerade erst zu seinem Team gestoßen war und sich schon unverzichtbar gemacht hatte. Er dachte an Bennet, der immer noch einigen Spuren in Louisiana nachging, vor allem dem nach ihrem Tatort. Sie gingen davon aus, dass sich der Mörder in der Nähe seiner Ziele eine Art Lagerhaus oder eine Garage mietete. Irgendetwas, wo das Geschrei der Opfer nicht zu hören wäre. Die Schreie, die ihm, seit er die Videos gesehen hatte, nicht mehr aus dem Kopf gingen.
Bei Theresa war nicht daran zu denken gewesen, aber Tina Michalskys Tod lag nur etwa einen Monat zurück, diesmal hatten sie eine echte Chance. Und deshalb klapperte Bennet alle Vermieter ab, und es waren nicht gerade wenige. Wenigstens hatten sie das Fernsehen diesmal zu etwas nützen können, der Aufruf, sich bei der Polizei zu melden, wenn man in den letzten Monaten eine Garage oder ein anderes abgelegenes Gebäude vermietet hatte, lief seit gestern Mittag über alle Kanäle.
Sam hatte die Zigarette noch nicht einmal aufgeraucht, als er Jays Bar erreichte. Wie die No-Name-Bar in New York, in der er mit Klara früher öfter gewesen war, hingen auch in Jays kleiner, aber gemütlicher Kneipe hauptsächlich Menschen am Tresen, die allein gelassen werden wollten, ohne tatsächlich den Abend alleine verbringen zu müssen. Sam ließ den Rest der Zigarette in eine Pfütze am Randstein fallen und betrat das Lokal.
Er war spät, außer ihm saß nur noch ein anderer Gast am Ende der langen Bar und las das Feuilleton der New York Times. Sam lächelte. Genau diese Mischung war der Grund, warum er den Laden so mochte. Da saß dieser Typ, den jeder Wall Street Broker in seinem peinlichen Anzug für einen Penner gehalten hätte, war in Wirklichkeit Professor für Frühgeschichte und las beim Bier das Feuilleton.
Um jeder Unterhaltung von vornherein aus dem Weg zu gehen, setzte sich Sam ans andere Ende der Theke und begrüßte Jay wortlos, was dieser ebenso stumm erwiderte. Stattdessen zeichnete er mit Daumen und Zeigefinger ein Glas und schaute fragend zu ihm herüber. Sam nickte
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