Judaswiege: Thriller
beinah körperlich spüren. Auf der einen Seite die Chance, möglicherweise mehr über ihren Täter zu erfahren, vielleicht sogar seinen momentanen Aufenthaltsort, auf der anderen Seite das Wissen darum, dass es absolut unprofessionell, wenn nicht vielleicht sogar gefährlich war, es ohne Sam aufs Geratewohl zu versuchen.
»Haben Sie jemals irgendwelche persönlichen Informationen mit diesem Account veröffentlicht? Eine Adresse, auch nur die Stadt, in der Sie wohnen, Vito?« Klara schien sich entschieden zu haben. Pia war jedoch ganz und gar nicht wohl in ihrer Haut.
»Nein, nichts. Ich habe ihn nur angelegt, weder mein Name noch meine Adresse noch sonst was.«
»Okay, dann probieren wir es«, entschied Klara. Wesley, du machst das und lässt uns hier über den Bildschirm mitlesen. Wir borgen uns ein ähnliches Problem wie dieser Hellbuoy aus der zweiten Diskussion, mit ihm scheint er ja persönlich gesprochen zu haben. Du mimst also einen Mann Anfang zwanzig, der Gewaltphantasien hat und nicht mit ihnen zurechtkommt. Kriegst du das hin?«
»Kein Problem«, antwortete Wesley. »Ich habe doch schon immer diese Gewaltphantasien, vor allem meinen Kolleginnen gegenüber.«
Klara rollte mit den Augen.
»Kleiner Scherz, nein. Ich denke, ich werde das hinbekommen.«
Nachdem Vittorio ihm die Logindaten gegeben hatte, verfolgten sie live am Bildschirm, wie Wesley versuchte, per Chat Kontakt zu ihrem Killer aufzunehmen:
[whisper to Judas_Iscariot]: Hallo. Darf ich dich was fragen?
Alle standen hinter dem großen Bildschirm und starrten auf die Lettern. Es kam keine Antwort.
»Ist er noch online?«, wollte Klara nach zwei Minuten wissen.
»Ist er«, versprach Wesley. Es verging mindestens eine weitere Minute, die sich anfühlte wie eine Stunde, als plötzlich in roten Lettern auf der schwarzen Seite eine Antwort erschien:
[whisper to Thunder]: Ja. Wer bist du?
Pia krallte sich in die Lehne von Adams Stuhl. Waren das die Worte eines Mannes, der vier Frauen bestialisch ermordet hatte? Sie starrte auf die Buchstaben, bis sie vor ihren Augen verschwammen.
»Was soll ich antworten?«, fragte Wesley hektisch.
Niemand sagte etwas, vielleicht hatten sie sich das doch etwas zu einfach vorgestellt?
»Schreib: Ich bin ein Bekannter von Hellbuoy«, sagte Pia, die hoffte, damit das Richtige zu tun.
[whisper to Judas_Iscariot]: Ich bin ein Bekannter von Hellbuoy …
Die nächste Antwort kam wesentlich schneller. Offenbar hatte Pia in ihrer Unbedarftheit den Nagel auf den Kopf getroffen. Ab jetzt war Wesley auf sich alleine gestellt.
[whisper to Thunder]: Was kann ich für dich tun?
[whisper to Judas_Iscariot]: Ich habe ein ähnliches Problem. Ich träume davon, jemand umzubringen. Er hat gesagt, du weißt Rat.
»Das war aber ein weiter Schuss ins Blaue, Wesley«, rügte Klara. »Ich hoffe, dass er uns nicht abspringt.«
[whisper to Thunder]: Vielleicht. Was träumst du?
»Es war gar nicht so ins Blaue, Klara. Ich habe einen Post von diesem Hellbuoy gefunden, der richtiggehend von Judas_Iscariot schwärmt und ihn als seinen ›Mentor‹ bezeichnet.«
[whisper to Judas_Iscariot]: Ich träume, dass ich einer Frau die Pulsadern aufschneide und sie vor meinen Augen verblutet. Wie sie immer schwächer wird, das Leben aus ihr weicht.
[whisper to Thunder]: Thunder, du bist ja ein richtiger Poet. Kennst du die Frau?
[whisper to Judas_Iscariot]: Nein. Einmal war es eine Frau, die ich im Supermarkt getroffen habe. Aber meistens sind es bloß irgendwelche Frauen.
[whisper to Thunder]: Befriedigt es dich?
[whisper to Judas_Iscariot]: Wie meinst du das?
[whisper to Thunder]: Na, ob du danach Befriedigung empfindest, entweder körperlich oder seelisch? Wenn sie tot sind, meine ich.
[whisper to Judas_Iscariot]: Weiß nicht …
[whisper to Thunder]: Wie, das weißt du nicht, das musst du wissen. Das ist wichtig.
[whisper to Judas_Iscariot]: Ich denke schon …
[whisper to Thunder]: Willst du es herausfinden?
[whisper to Judas_Iscariot]: Ja, klar. Deswegen frage ich dich ja …
[whisper to Thunder]: Warte einen Moment.
»Yessss! Das war gut, oder?«, fragte Wesley durchs Telefon.
»Wir werden sehen«, mahnte Klara zur Skepsis. Pia fand, dass er seine Sache wirklich gut gemacht hatte. Zwischendrin war es einmal knapp gewesen, aber er hatte Judas bei der Stange gehalten.
»Was passiert jetzt?«, fragte Pia.
»Er schickt uns eine Datei«, meinte Wesley.
»Hast du daran gedacht, seinen Standort ausfindig zu machen? Wie
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