Judaswiege: Thriller
dabei konnte er am besten nachdenken. Über der ersten Tasse Koffein legte er sich den Schlachtplan für die nächsten Tage zurecht. Was Klara letzte Nacht riskiert hatte, spottete jeder Vorschrift, aber sie hatte, wie meistens, herausragende Ergebnisse erzielt. Sam konnte damit leben, auch wenn er manchmal nicht genau wusste, wie er das anstellte.
Zwanzig Minuten später stellte er die Kaffeetasse in die Spüle und schaltete die Maschine aus. Bevor er die Haustür erreicht hatte, überprüfte er noch dreimal, ob die kleine Leuchtdiode auch wirklich aus war. Er konnte keinesfalls riskieren, dass ihm in seiner Abwesenheit sein geliebtes Haus abfackelte, bloß weil er vergessen hatte, die Kaffeemaschine auszustellen. An der Haustür setzte er sein zwanghaftes Ritual fort, das vor jeder Flugreise gleich ablief: Nachdem er abgeschlossen hatte, rüttelte er in einem bestimmten Rhythmus an der Tür. Einbrecher konnte er ganz und gar nicht brauchen. Dass dort, wo er hinfahren würde, weit größere Gefahren lauerten, kam ihm nicht in den Sinn.
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Sein Team wartete bereits im achteckigen Raum, als Sam knappe fünf Minuten nach seiner eigenen Zeitvorgabe im Büro auftauchte. Zu seiner Freude hatte jemand – er verdächtigte Anne – Donuts besorgt. Ob die zu dieser Uhrzeit frisch sein konnten? Oder waren die etwa von gestern? Sam beschnupperte einen der Teigringe und legte ihn auf eine Serviette.
Wesley hatte die Bildschirme um sie herum mit den neuesten Informationen ergänzt, was Sam einigen Respekt abnötigte. Neugierig betrachtete er den Chat, den der junge Wesley alias »Thunder« mit ihrem vermeintlichen Täter geführt hatte. Die junge Anwältin hatte ihnen einmal den Arsch gerettet, aber sonst hatten sie ihre Sache recht gut gemacht, bemerkte Sam und nahm ein Stück Gebäck. Wo kriegt Anne nur um diese Uhrzeit frische Donuts her?, freute sich Sam über die wohltuende Ration Zucker am Morgen.
»Also gut, Leute«, begann er mit vollem Mund. »Ihr wisst, dass ich euch im Grunde dafür übers Knie legen müsste, oder? Wie konntet ihr nur so ein Risiko eingehen.«
»Ach Sam«, schaltete sich Klara ein.
Klara? Wieso Klara? Die war doch noch in San Francisco, oder nicht? Sam entdeckte ihr Porträt an einer der Videoleinwände. Sie sah sehr zufrieden aus. Und sie saß in einem Flugzeug. Er blickte ihr tadelnd in die virtuellen Augen.
»Es hat doch funktioniert, oder nicht?«, fragte sie aus ihrem Flugzeug.
»Nur, weil etwas funktioniert hat, ist es noch lange nicht richtig«, antwortete Sam. »Was, wenn ihr aufgeflogen wärt? Wenn er euch irgendeine technische Falle gestellt hätte?«
Wesley meldete sich zu Wort: »Aber Chef, haben Sie nicht gesagt … ja, hier steht es sogar im Täterprofil: ›Internetaffin, aber kein technisch versierter Profi‹?«
Das hatte Sam tatsächlich gesagt, und der vorbildliche Einsatz des Kollegen hatte ihn schon auf der Autofahrt ein wenig milder gestimmt.
»Also gut, vergessen wir das für eine Weile. Was nicht heißen soll, dass wir es zu den Akten legen, damit ihr das richtig versteht. Aber ihr habt uns mit eurer Aktion natürlich meilenweit vorangebracht, daran besteht kein Zweifel.«
Klara, die hinter Wesley gewissermaßen an der Wand hing, und ihr junger Kollege grinsten um die Wette.
»Für uns heißt das jetzt: Wir haben eine Menge zu tun. Wir haben ihn am Schlafittchen, Leute, und wir müssen ihn uns schnappen.«
Sam wartete, bis er allgemeine Zustimmung spürte. Dann fügte er flüsternd hinzu: »Und ich erwarte von euch, dass ihr euer Bestes gebt. Ich weiß, wir können es schaffen.«
In diesem Moment platzte Marin, ihr aller Chef und politischster aller Politiker innerhalb des FBI, in die Sitzung: »Ich habe gehört, Sie machen Fortschritte, Burke. Gratuliere!« Er ließ seinen Blick über die Anwesenden streichen, blieb einen Moment zu lange an Klaras Porträt auf der Wand hängen und kniff dabei die Augen zusammen. Sam spürte genau, dass er es mit dem Kompliment nicht ernst meinte. Listig wie eine Klapperschlange, und er hatte Klara längst nicht vergessen, dass sie ihn mit den Bildern seiner Geliebten erpresst hatte. Bloß, dass wir ohne sie nicht wüssten, dass der Täter als Nächstes im Großraum Chicago zuschlagen wird, und auch nicht, dass er in diesem Onlineforum aktiv ist. Er hoffte inständig, dass er Klara in Ruhe ließ. Sie brauchten sie. Er brauchte sie. Marin setzte sich, wie es seine herablassende Art war, auf einen der Schreibtische und schlug
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