Judith McNaught
sondern eine uneinnehmbare, komfortable
Festung bieten, in der die Mitglieder überwältigende Vermögen beim Kartenspiel
verlieren konnten, sich ungestört zu unterhalten vermochten, ohne schreien zu
müssen, und ein hervorragendes Essen serviert bekamen, das französische oder
italienische Chefköche zubereiteten. Diskretion wurde von jedem Mitglied
erwartet und ebenso jedem gewährt. Gerüchte über gigantische Verluste und
Gewinne verbreiteten sich von den Spieltischen bei White's und Brook's wie ein
Lauffeuer durch ganz London. Im Strathmore, wo die Einsätze im Vergleich dazu
astronomisch hoch waren, gelangte nicht ein Wort über den grünen Baldachin
hinaus. Innerhalb der Grenzen des Clubs jedoch wurden Gerüchte von Mitglied zu
Mitglied und von Raum zu Raum mit erstaunlicher Schnelligkeit und
beträchtlichem männlichem Vergnügen weitergereicht.
Gäste hatten über die Marmorsäulen
hinaus, die die Eingangstür flankierten, keinen Zutritt, auch nicht, wenn sie
von Mitgliedern begleitet wurden. Diese Entdeckung hatte schon Beau Brummel in
Wut versetzt, als er in den Tagen, in dem er in jedem anderen eleganten
Herrenclub in London Erfolge feierte, versuchte, Zutritt zu erlangen.
Man hatte sogar dem jungen Prinzen
die Mitgliedschaft verweigert, weil er kein Nachfahre der Gründer war. Der damalige
Prinzregent reagierte darauf mit ebenso heftigem Zorn wie Brummel, aber mit
uncharakteristisch gesundem Menschenverstand und Voraussicht: Er gründete
seinen eigenen Club, setzte zwei der königlichen Küchenchefs ein, und nannte
ihn Watier's, nach einem seiner Köche. Der Prinzregent konnte jedoch die Aura
stiller Würde, äußerster Exklusivität und unauffälliger Eleganz, die die
weitläufigen Räume durchdrang, nicht wiederholen.
Stephen nickte dem Geschäftsführer,
der ihn mit einer Verbeugung an der Tür begrüßte, abwesend zu und ging durch
die großen eichengetäfelten Räume. Dabei schenkte er den Mitgliedern, die in
bequemen, hochlehnigen dunkelgrünen Ledersesseln saßen und sich unterhielten
oder sich um Spieltische gruppierten, kaum mehr Aufmerksamkeit als den Clubangestellten.
Der dritte Raum, in den er kam, war völlig menschenleer, was ihm ausgezeichnet
paßte, und so setzte er sich an einen Tisch mit drei leeren Stühlen. Wie gebannt
starrte er in den leeren Kamin, überdachte den ernsten Inhalt des Briefes und
die bedeutsamste Entscheidung seines Lebens.
Je mehr er über das Problem, das der
Brief geschaffen hatte, nachdachte, desto offensichtlicher wurde die Lösung für
ihn ... und desto besser ging es ihm. Innerhalb einer halben Stunde wechselte
Stephens Laune von Groll über Nachdenklichkeit und philosophische Gedanken
schließlich bis hin zu Fröhlichkeit. Allerdings wußte er ganz genau, daß er
letztendlich auch ohne den Brief das getan hätte, was er nun im Begriff stand
zu tun. Der Unterschied lag darin, daß der Inhalt des Briefes ihn sozusagen
dazu verpflichtete, was bedeutete, daß er nach seinem Wunsch verfahren konnte
und dabei alle Ansprüche auf Ehre und Schicklichkeit wahrte. Er hatte es von
Anfang an bedauert, Sherry gesagt zu haben, sie solle sich auch andere Bewerber
ansehen. Er hatte seine Eifersucht kaum beherrschen können, als sie DuVille
lobte, und er wußte nicht, wie weit er gegangen wäre, wenn andere Galane an seiner
Tür aufgetaucht wären. Und es wäre zweifellos bald der Tag gekommen, an dem
irgendein törichter Galan den Mut aufgebracht hätte, Stephen um ihre Hand zu
bitten, und sich sehr plötzlich rücklings auf der Straße wiedergefunden hätte.
Wenn sie sich mit ihm in einem
Zimmer befand, konnte Stephen den Blick nicht von ihr lösen, und wenn sie
miteinander allein waren, kostete es ihn all seine Überwindung, die Hände von
ihr zu lassen. War sie fort, mußte er immerzu an sie denken. Sherry wollte ihn
auch. Das hatte er vom ersten Augenblick an gewußt, und sie hatte ihre Meinung
nicht geändert, auch wenn sie versuchte, sich so zu benehmen, als sei er nur
ein entfernter Bekannter, mit dem sie wenig verband. Wenn er sie länger in den
Armen halten könnte, würde sie wieder dahinschmelzen, da war er sich ganz
sicher.
Die scherzende Bemerkung seines
Bruders lieg Stephen überrascht aufblicken. »Ich hege die Befürchtung, daß ich
in ein kompliziertes Gespräch eindringe, das du mit dir selber führst«, näselte
Clayton. »Würde es dir etwas ausmachen, mich einzubeziehen, oder möchtest du
lieber Karten spielen?« Vor ihm auf dem Tisch stand ein
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