Judith McNaught
war
neblig und kurz vor dem Morgengrauen. Burleton hatte getrunken, und er lief
ihm direkt vor die Pferde, aber Langford gab sich die Schuld am Tod des jungen
Mannes, und in seiner Lage hätte ich vermutlich ganz genauso reagiert. Er fuhr
mit einem unerfahrenen Gespann, das nicht an die Stadt gewöhnt war, und unter
anderen Umständen wäre Burleton vielleicht noch am Leben. Ich weiß es nicht.
Jedenfalls, als Langford ein paar
Stunden nach dem Unfall Nachforschungen anstellte, entdeckte er, daß Burletons
Verlobte am nächsten Tag aus Amerika ankommen sollte, und daß Burleton weder
Familie noch Freunde besaß, denen Langford es zumuten konnte, Sie abzuholen und
Ihnen die Nachricht zu überbringen. Und in der Tat, wenn Burletons Butler nicht
von Ihnen und Ihrer bevorstehenden Ankunft in London gewußt hätte, hätte Sie
überhaupt niemand am Schiff abgeholt. An den Rest erinnern Sie sich wahrscheinlich
– Langford kam zum Schiff, um Ihnen die Nachricht zu überbringen und Ihnen jede
Hilfe anzubieten, die Sie brauchten. Offenbar war er damit so beschäftigt, daß
er nicht bemerkte, daß ein Ladenetz voller Kisten direkt auf sie zuschwang
und sie am Kopf traf.«
Nicki beobachtete sie aufmerksam und
beugte sich vor, um sich einen Brandy einzugießen, während er das Gesagte auf
sie wirken ließ. Sie schien sehr ruhig, wie er bewundernd bemerkte, und so
fuhr er fort: »Langford brachte Sie in sein Haus und rief den Arzt seiner
Familie. Ein paar Tage lang lagen Sie bewußtlos da, und Whitticomb hatte wenig
Hoffnung, daß Sie jemals wieder aufwachen würden. Als Sie dann schließlich doch
die Augen aufschlugen, stellte er fest, daß der Schlag auf ihren Kopf einen
Gedächtnisverlust bewirkt hatte. Er ordnete sofort an, daß niemand etwas sagen
dürfe, was Sie aufregen könnte. Anscheinend glaubten Sie, Langford sei Ihr
Verlobter, und deshalb ließ man ließen wir – Sie in dem Glauben. Das ist so
ziemlich alles, was ich weiß, außer«, fügte Nicki aus Fairness Stephen
Westmoreland gegenüber hinzu, »daß Langford sich die Schuld daian gab, Sie
nicht vor Unheil bewahrt und Ihnen die schlechten Nachrichten so tölpelhaft
beigebracht zu haben, daß Sie nicht mehr selbst auf sich aufpassen konnten. Ich
weiß auch, daß er sich schuldig fühlte und sich schwere Vorwürfe machte, weil
er Ihnen Ihren Verlobten genommen hat.«
Sherry fühlte sich unendlich
gedemütigt, als sie ihren offensichtlichen, quälenden Schluß zog: »Und deshalb
fühlte er sich verpflichtet, mir einen anderen Verlobten zu beschaffen,
indem er sich selbst zur Verfügung stellte. So war es doch, oder?«
Nicki
zögerte, nickte dann aber: »Genau.«
Sherry wandte den Kopf zur Seite und
kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an. Sie war so dumm, so leichtgläubig gewesen
und hatte sich in einen Mann verliebt, der nichts für sie empfand als
Verantwortungsgefühl. Kein Wunder, daß er nie gesagt hatte, daß er sie liebte!
Kein Wunder, daß er gewünscht hatte, sie möge jemand anderen zum Heiraten finden!
»Eigentlich wollte er mich also nur aus Schuldgefühl und
Verantwortungsbewußtsein heiraten.«
»Ich denke nicht, daß dies seine
einzigen Beweggründe waren«, erwiderte Nicki vorsichtig. »Ich vermute, er empfindet
etwas für Sie.«
»Natürlich tut er das«, entgegnete
Sherry verächtlich. Sie fühlte sich schwindlig vor Demütigung. »Man nennt es Mitleid.«
»Ich begleite Sie zurück zu den
Langfords.«
»Ich kann nicht zurückgehen«, schrie
sie.
»Miss Lancaster«, begann Nicki in
einem scharfen, autoritären Tonfall, mit dem er normalerweise jeden bezwang.
Die fassungslose junge Frau, die ihm gegenübersaß, reagierte jedoch mit
hysterischem Gelächter darauf. »Ich bin nicht Charise Lancaster.«
Nicki blickte sie entgeistert an. Er
verfluchte sich im stillen, weil sie ihm hatte vormachen können, es ginge ihr
gut genug, um die Wahrheit zu hören.
»Ich bin nicht Charise Lancaster«,
wiederholte sie, und ihr Lachen ging unvermittelt in Schluchzen über. »Ich war
ihre bezahlte Gesellschafterin auf der Reise.« Sie hatte ihre Arme um sich
geschlungen und schaukelte weinend vor und zurück. »Ich bin eine bessere
Gouvernante, und er wollte mich heiraten. Wie seine Freunde darüber gelacht
hätten. Er ertrank in Mitleid wegen einer Gouvernante, die Lord Burleton noch
nie in ihrem Leben gesehen hat.«
Nicki starrte sie fassungslos und
schockiert an, aber er glaubte ihr. »Mein Gott«, flüsterte er.
»Ich dachte, ich sei
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