Judith McNaught
Ihre weiche Wange
streifte seinen Arm, und er zog sie näher an sich heran, weil auch er an das
Ereignis dachte, das sie beinahe auseinandergebracht hätte.
»Zeit spielt bei diesen Dingen keine
große Rolle. Weißt du noch, wie lange es noch nach unserem Kennenlernen in England
gedauert hat, bis du dich in mich verliebt hast?« fragte sie ins Dunkel.
Clayton lächelte bei der Erinnerung.
»Es war an dem Abend, an dem du mir anvertraut hast, daß du immer Pfeffer in
die Schnupftabakdose deines Musiklehrers getan hast.«
»Wenn mich mein Gedächtnis nicht
trügt, habe ich dir das nur eine oder zwei Wochen, nachdem ich aus Frankreich
nach Hause gekommen war, gestanden.«
»So etwas in der Art.«
»Clayton?«
»Was?« flüsterte er.
»Ich glaube nicht, daß Stephen so
leicht darüber hinwegkommt, wie du denkst. Er könnte jede Frau haben, die er
will, und doch war sie in der ganzen Zeit die einzige Frau, die er wirklich
begehrte – abgesehen von Emily, und sieh doch nur, wie zynisch er danach
geworden ist.«
»Stephen braucht nur mit dem Finger
zu wackeln, und Dutzende von begehrenswerten Frauen werden Schlange stehen, um
ihn zu trösten. Und dieses Mal wird er es zulassen, weil sein Stolz und sein
Herz mehr gelitten haben als beim letzten Mal«, prophezeite Clayton grimmig.
»In der Zwischenzeit wird er sich erst einmal sinnlos betrinken, und das für
eine ganze Weile.«
Sie blickte
ihn an. »Hast du das auch getan?«
»Genau das
habe ich auch getan«, bestätigte er.
»Typisch
männlich«, erwiderte sie naserümpfend.
Clayton unterdrückte ein Lachen und
hob ihren weichen Mund zu seinem. »Denkst du, du bist darüber erhaben, Madam?«
fragte er und hob amüsiert eine Augenbraue.
»Aber
sicher«, erwiderte sie selbstgefällig.
»In diesem Fall«, sagte er, rollte
sich auf den Rücken und zog sie mit sich, »lasse ich dich vermutlich besser
nach oben.«
Ein wenig später zog Clayton sie
schläfrig und befriedigt bequemer neben sich und schloß die Augen.
»Clayton?«
Etwas in ihrer Stimme bewog ihn,
wachsam die Augen wieder zu öffnen.
»Ich weiß nicht, ob du es bemerkt
hast, aber Charity Thornton war heute in Tränen aufgelöst, als Sheridan
Bromleigh nicht wieder zurückkam.« Als er keine Antwort gab, sondern sie nur
weiter ansah, fuhr sie fort: »Hast du es bemerkt?«
»Ja«, antwortete er vorsichtig.
»Warum fragst du?«
»Nun, sie sagte mir auf eine
herzzerreißende Weise, daß sie sich zum ersten Mal seit Jahrzehnten wirklich
nützlich vorgekommen wäre, weil sie als Anstandsdame gebraucht wurde. Und sie
sagte, sie fühle sich wie eine nutzlose alte Versagerin, weil sie keinen
anderen Mann für Sheridan Bromleigh gefunden habe als Stephen.«
»Ich habe das gehört und Stephen
auch«, erwiderte Clayton, wobei Unbehagen und Mißtrauen in seiner Stimme
mitschwangen. »Ich meine allerdings, ihre genauen Worte hätten gelautet, es
täte ihr leid, daß sie nicht in der Lage gewesen sei, einen anderen
unglücklichen, leichtgläubigen Mann zu finden, den Miss Bromleigh hatte
täuschen und verlassen können, außer ihrem lieben Langford.«
»Nun ja,
das ist doch fast das gleiche.«
»Nur wenn du Dummheit mit Verstand
gleichsetzt. Warum«, fuhr er mit schwersten Vorbehalten hinsichtlich der
Antwort fort, »reden wir gerade jetzt darüber?«
»Weil ich ... ich sie eingeladen
habe, eine Zeitlang bei uns zu bleiben.«
Whitney schien es, als habe er
aufgehört zu atmen. »Ich dachte, sie könnte sich auch ein bißchen um Noel
kümmern.«
»Es wäre sinnvoller, Noel zu bitten,
sich ein wenig um sie zu kümmern.«
Da sie sich nicht klar darüber war,
ob sich hinter seinem spöttischen Tonfall Arger oder Erheiterung verbarg, sagte
Whitney: »Natürlich würde sich eigentlich Noels Gouvernante insgeheim um alles
kümmern.«
»Worum kümmern? Um Noel oder Charity
Thornton?« Whitney unterdrückte ein nervöses Lächeln. »Bist du ärgerlich?«
»Nein. Ich habe ... Respekt.«
»Vor was?«
»Vor deinem Gefühl für den richtigen
Zeitpunkt. Vor einer Stunde, bevor wir beide uns geliebt haben, hätte ich wahrscheinlich
heftiger darauf reagiert, sie in mein Haus zu nehmen, als ich es nun tue –
jetzt bin ich zu erschöpft, um die Augen offenzuhalten.«
»Das dachte ich mir schon«, gab sie
schuldbewußt zu, als er absichtlich das Schweigen danach in die Länge zog.
»Und ich wußte, daß du dir das
denkst.«
Er klang mißbilligend, und sie biß
sich auf die Lippen. Vorsichtig sah sie ihn an und
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