Judith McNaught
Ehemann beinahe im
Duell getötet hätte.
Wenn Sie das, was ich Ihnen erzählt
habe, überdenken, werden Sie allmählich verstehen, warum er seinem eigenen
Urteil Frauen gegenüber mißtraut und warum er ihre Motiven beargwöhnt.
Vielleicht erkennen Sie auch, daß sein Wunsch, Sie sollten andere Männer
kennenlernen, bevor Sie sich endgültig für ihn entscheiden, nicht so falsch
oder grausam ist. Ich behaupte nicht, daß er richtig handelt«, fügte Whitney
hinzu, weil in ihrem Gewissen zorniger Protest aufstieg. »Das weiß ich nicht,
und meine Meinung zählt hierbei auch gar nicht. Ich bitte Sie nur – ich schlage
Ihnen vor –, auf Ihr Herz zu hören und selbst zu entscheiden, und zwar auf der
Grundlage dessen, was ich Ihnen erzählt habe. Und es gibt noch etwas, das ich
Ihnen sagen kann und das Ihnen bei Ihrer Entscheidung helfen wird.«
»Und zwar?«
»Weder mein Mann noch ich haben
jemals erlebt, daß Stephen eine Frau so angesehen hat wie Sie, so freundlich,
liebevoll und humorvoll.« Das war alles, was Whitney ihrer Meinung nach zur
Lösung des Problems beitragen konnte, und so ging sie hinüber zum Sofa, um ihre
Sachen zu holen. Sherry stand auf.
»Sie waren sehr freundlich, Euer
Gnaden«, erklärte Sherry aufrichtig.
»Bitte, sagen Sie Whitney zu mir«,
erwiderte die Herzogin und ergriff ihren Retikül. Sie lächelte Sherry von der
Seite an und fügte hinzu: »Und sagen Sie nicht, ich sei 'freundlich', denn dann
muß ich gestehen, daß ich Sie aus einem äußerst selbstsüchtigen Grund in der
Familie haben möchte.«
»Und was ist das für ein
selbstsüchtiger Grund?«
Die Herzogin drehte sich ganz zu ihr
um und antwortete leise und aufrichtig: »Ich glaube, Sie wären meine beste
Chance, jemals eine Schwester zu haben, und wahrscheinlich meine einzige
Chance, eine Schwester zu haben, mit der ich vollkommen glücklich wäre.«
Diese Worte und das sanfte Lächeln,
das sie begleitete, hatten auf Sherry in einer Welt, in der ihr alles
unvertraut und verdächtig erschien, eine tiefe Wirkung. Sie lächelten einander
an, und Sherry streckte die Hand aus, um die Hand der Herzogin zu schütteln.
Zugleich trat die Herzogin vor, und irgendwie wurde aus dem höflichen
Händeschütteln ein fester Druck der Ermutigung, der einen Augenblick länger als
nötig dauerte. Und dann wurde eine Umarmung daraus. Sherry wußte nicht, wer den
ersten Schritt getan hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Als sie sich aus
der Umarmung lösten, lächelten sie beide ein wenig verlegen über ein so unschickliches
Betragen zwischen zwei Fremden, die sich mindestens noch ein Jahr lang als
»Miss Lancaster« und »Euer Gnaden« hätten anreden müssen. Aber das spielte
jetzt alles keine Rolle mehr, und außerdem ließ sich die Zeit nun sowieso
nicht mehr zurückdrehen. Sie hatten das Band zwischen sich gefühlt und nun
auch akzeptiert. Die Herzogin stand einen Moment ganz still da, ein winziges,
amüsiertes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, und sie schüttelte den Kopf, als
sei sie erfreut und verwirrt. »Ich mag Sie sehr«, sagte sie einfach, und dann
war sie in einem Wirbel modischer kirschroter Röcke verschwunden.
Kurz nachdem sie die Tür hinter sich
geschlossen hatte, öffnete sie sie noch einmal und steckte, immer noch
lächelnd, den Kopf herein. »übrigens«, flüsterte sie, »Stephens Mutter mag Sie
auch. Wir sehen Sie dann beim Essen.«
»Oh, wie schön.«
Whitney nickte und erwiderte mit
einem unwiderstehlichen Lächeln: »Ich gehe jetzt hinunter und überzeuge Stephen
davon, daß es seine Idee ist.«
Und damit war sie weg.
Sherry ging zum Fenster und blickte
auf die Upper Brook Street hinunter. Mit verschränkten Armen sah sie abwesend
zu, wie elegant gekleidete Männer und Frauen in Kutschen vorbeifuhren oder die
Straße entlangschlenderten und den milden Nachmittag genossen.
Immer wieder überdachte sie das
Gehörte, und der Earl zeigte sich ihr in ganz neuem Licht. Sie konnte sich
vorstellen, wie es sein mußte, wegen seines Besitzes und nicht wegen seiner
Person begehrt zu werden. Die Tatsache, daß er diese Art von Aufmerksamkeit und
Schmeichelei nicht schätzte, bewies, daß er nicht eitel war.
Und die Tatsache, daß er die
Freundschaft mit der Frau, die er liebte, nicht aufgegeben hatte, als sie für
ihn schon verloren schien, bewies unwiderlegbar, daß er beständig und loyal
war. Und die Tatsache, daß er sich bereit gezeigt hatte, sein Leben in einem
Duell aufs Spiel zu setzen ... das war einfach
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