Judith McNaught
erst
beschlossen worden war. Emily brach in Tränen aus und sagte zu Stephen, daß
sie, bevor er ihr seinen Antrag gemacht hatte, sich mit der Heirat mit Lord
Lathrop zumindest noch hätte abfinden können. Nun aber würde ihr Leben
unerträglich werden. Stephen erzürnte sich darüber, daß sie an einen
erbärmlichen alten Mann 'vergeudet' werden sollte, aber sie überzeugte ihn
davon, daß es sinnlos sei, mit ihrem Vater darüber zu streiten – was er
eigentlich tun wollte, obwohl er sehr genau wußte, daß es zu den Pflichten
einer Tochter gehört, nach dem Willen der Familie zu heiraten.«
Sie hielt inne, lächelte Sherry
verlegen an und fügte hinzu: »Ich selbst hielt mich allerdings nicht daran, als
mein Vater das Recht beanspruchte, einen Ehemann für mich auszusuchen.« Dann
kehrte sie zu ihrer Geschichte zurück und fuhr fort: »Als Stephen trotzdem
darauf beharrte, mit ihrem Vater zu sprechen, sagte Emily zu ihm, er würde sie
schlagen, wenn er erführe, daß sie sich bei Stephen über ihr Schicksal oder
ihre Gefühle Lord Lathrop gegenüber beklagt habe.«
»Und dann gingen sie auseinander?«
warf Sherry ein, als Whitney zu zögern schien.
»Hätten sie das nur getan! Statt
dessen überzeugte Emily ihn davon, daß sie jetzt, wo sie wüßte, daß er sie
liebte, ihr Schicksal nur ertragen könnte, wenn sie ihre ... Freundschaft ...
nach ihrer Hochzeit ... fortsetzen würden.« Sherry runzelte die Stirn. Es
bereitete ihr Qualen zu hören, wie sehr er die andere geliebt hatte. Whitney
mißdeutete ihr Stirnrunzeln als Mißbilligung und beeilte sich, das, was nicht
zu verteidigen war, zu verteidigen, teils aus Loyalität Stephen gegenüber,
und teils, damit Sherry ihn nicht sofort verdammte. Leider befand sie sich
damit innerhalb weniger Augenblicke auf äußerst unsicherem Grund, als sie
nämlich versuchte, ihr nur einen Teil der Informationen zu geben und ihr die
volle Wahrheit vorzuenthalten. »Das ist nicht so ungewöhnlich und noch nicht
einmal besonders skandalös. In der Gesell schaft gibt es viele Frauen, die
sich nach ... der Aufmerksamkeit und der Begleitung eines attraktiven Mannes
sehnen, den sie kennen ... äh ... sie finden das ... sehr, nun ja ... sehr
unterhaltsam ... in mancherlei Hinsicht«, schloß Whitney außer Atem. »Natürlich
spielt sich das alles sehr diskret ab.«
»Sie
meinen, sie müssen ihre Freundschaft geheimhalten?«
»So könnte
man es sagen«, erwiderte Whitney. Ihr dämmerte, daß Sherry sich Gott sei dank
überhaupt nicht klarmachte, daß Stephen während Emilys Ehe sehr viel mehr als nur
ihren »Freund« dargestellt hatte, und daß hier überhaupt nicht von
Freundschaften die Rede war. Rückblickend stellte Whitney fest, daß sie auch nichts
anderes hatte erwarten können. Guterzogene englische Mädchen besaßen oft keine
klare Vorstellung davon, was sich bei Paaren im Schlafzimmer abspielte, aber
für gewöhnlich hatten sie Gespräche ihrer älteren Schwestern oder anderer
verheirateter Frauen belauscht. Wenn sie dann in Sherrys Alter waren,
vermuteten sie zumindest, daß etwas mehr passierte als freundliches Händeschütteln.
»Was geschieht, wenn die Wahrheit
herauskommt?«
Da sie ihr nun schon bis hierhin
ungestraft die Wahrheit hatte erzählen können, blieb Whitney für den Rest ihrer
Fragen bei der gleichen Methode. »Dann ist der Ehemann für gewöhnlich
ungehalten, vor allem, wenn es Anlaß zu Gerede gegeben hat.«
»Und wenn er ungehalten ist, besteht
er dann darauf, daß sich seine Frau von da an nur noch auf weibliche Gesellschaft
beschränkt?«
»Ja, aber gelegentlich findet auch
ein Gespräch mit dem Gentleman statt.«
»Was für
ein Gespräch?«
»Die Art, die im Morgengrauen auf
zwanzig Schritte Entfernung stattfindet.«
»Ein Duell?« rief Sherry aus. Ihrer
Meinung nach war das eine heftige Überreaktion auf etwas, das man im schlimmsten
Fall als eine unschicklich enge Freundschaft zwischen den Geschlechtern
bezeichnen konnte.
»Ein
Duell«, bestätigte Whitney.
»Und war Lord Westmoreland
einverstanden damit, weiter Emily Kendalls ...« Sie hielt inne und verwarf das
Wort »Verehrer« wieder, weil es albern klang, wenn die Dame schon verheiratet
war, »enger Freund zu sein«, improvisierte sie, da dieser Ausdruck korrekt
schien, »auch als sie schon verheiratet war?«
»Ja, über ein Jahr lang, bis ihr
Ehemann es herausfand.« Sherry holte tief Luft. Sie fürchtete sich beinahe, zu
fragen. »Und gab es ein Duell?«
»Ja.«
Da Lord
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