Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
die Möglichkeit gab, ohne Schuldgefühle an eben diesem die eigene sadistische Triebbefriedigung zu suchen.
Sich moralisch etwas «in die eigene Tasche lügen», so nennt man das wohl. Nichts anderes tut der Freund Ihres Freundes, der Zahnarzt. Gerechte Empörung? Nein, die würde sich nicht so äußern. Was bleibt? Er wollte immer schon mal foltern, aber er wollte keine Schuld spüren. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. So bin ich doch wenigstens noch zu etwas gut.
Prof. Dr. Tobias Brocher war nun zwei Tage hier. Ich mag ihn, auch wenn man sich, das werden Sie verstehen, in derart kurzer Zeit nicht gut genug kennenlernen kann.
Warum habe ich Ihnen von unserem «ulligen» . (kölsch: kleiner) Herbert Grewe geschrieben? Weil ich es nicht ertragen kann, daß Leben und nicht mehr leben dieses armen Jungen ohne Laut in der Versenkung verschwinden soll. Das DARF nicht sein. Ich mochte ihn, wie wir alle ihn mochten. Dies ist (ich tat es noch nie) eine herzliche Bitte um Veröffentlichung seines Schicksals, ob mit meinen oder Ihren Worten.
***
[Das persönliche Verhältnis zwischen Jürgen Bartsch und seinem Verteidiger Heinz Möller, selber Vater von drei Kindern, wurde im Laufe der Zeit ein sehr enges und herzliches. Jürgen betrachtete Herrn Möller nicht nur als Rechtsanwalt, sondern als Freund. Nach dem ersten Prozeß und dem Urteil «lebenslänglich» hatten Jürgens Eltern kein Vertrauen mehr in Möllers anwaltliche Fähigkeiten. Während der zwei gleichzeitig laufenden Prozesse in Wuppertal (gegen Jürgen Bartsch und gegen die Kriegsverbrecher von Białystok) hatte Möller zwei ganz besonders schwierige Mandanten zu verteidigen, und im Prozeß gegen Jürgen Bartsch hatte er auch gegen Gutachter zu kämpfen, die auf dem wissenschaftlichen Niveau des neunzehnten Jahrhunderts stehengeblieben waren. Herr und Frau Bartsch aber deuteten die beiden lebenslänglichen Urteile der zwei Mandanten von Heinz Möller, er habe als Verteidiger versagt. Nur ein paar Wochen vor Beginn des zweiten Prozesses im März 1971 hatte mich Heinz Möller aus Wuppertal angerufen. Er habe sein Mandat niedergelegt. Er sei eben bei Jürgen gewesen, der ihm mitgeteilt habe, seine Eltern hätten den Wunsch, daß Bossi allein die Verteidigung im zweiten Prozeß übernehme. Von den Eltern selber hörte Möller nichts: Sie haben diese Aufgabe ihrem schwerkranken Sohn aufgebürdet.]
Wie Sie mittlerweile wissen werden, ist Herr Möller aus dem Verfahren ausgeschieden. Das ist mir menschlich
sehr
an die Nieren gegangen. Ich hatte leider keinen Einfluß darauf, meine Elternbezahlen alles, und es ist offensichtlich, daß meine Eltern keine zwei Anwälte bezahlen wollen und wollten, wenn sie glauben, daß einer alles alleine schafft. Ich werde die Verbindung mit Herrn Möller aber keinesfalls abbrechen lassen. Wir sind
Freunde
geworden, heute darf ich das ja sagen. Sollte ich einmal in einer Anstalt sein, werde ich ihn auch sicher wiedersehen.
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[Jürgens Verhältnis zu Heinz Möller war vermutlich das Wichtigste in seinem damaligen Leben geworden. Als Rechtsanwalt durfte Möller seinen Mandanten besuchen, sooft er wollte. Er durfte auch alle möglichen Probleme mit ihm unter vier Augen besprechen, als freundlicher, wohlwollender Vaterersatz. Für Jürgen war der Verlust von «Herrn Möller», wie er ihn immer nannte, viel mehr als der Verlust eines Rechtsanwaltes. Auf einer bunten Ansichtskarte bekam Heinz Möller von Jürgen eine Abschiedsbotschaft.]
«Ich weiß, daß Sie an mich noch denken werden, wenn mich manch anderer längst vergessen hat. Diese ist die schönste Karte, die ich finden konnte.»
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[Merkwürdigerweise habe ich heute, fast zwanzig Jahre danach, gar nichts mehr in Erinnerung von meinem ersten persönlichen Treffen mit Jürgen, ein paar Tage vor Beginn des Revisionsprozesses in Düsseldorf: Ehe ich diesen Brief nach vielen Jahren wiederlas, hätte ich geschworen, wir wären uns erst kurz nach dem Urteil zum erstenmal persönlich begegnet. Zu dieser Zeit – nach mehr als drei Jahren des Briefwechsels – fing er an, mich zu duzen, aber am Anfang fiel es ihm nicht immer leicht.]
Düsseldorf, den 10. 3. 1971
Selten habe ich mich auf und über einen Besuch so gefreut wie über Deinen, aber damit sage ich Dir sicher nichts Neues, lieber Paul.
Meine Eltern werden mich am Montag noch mal besuchen kommen, und mir auch meinen schwarzen Anzug (besser «dunkelgrau») mitbringen.
Und am
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