Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Tat überhaupt als kriminell zu werten ist, hängt von der psychologischen Diagnose ab.
Franz Alexander, 1929
Bei der Höhle beginnt bereits das Merkwürdige. Alle Jungen, die Bartsch vor Beginn der Morde, damals noch zu einfacher oder erzwungener Unzucht, mit sich nahm, ängstigten sich in dem modrigen Stollen. Nur Bartsch scheint sich dort wohl gefühlt zu haben, fast möchte man sagen: geborgen, in seinem sonst reichlich ungeborgenen Leben … Die Höhle war sein Reich, dorthin führte, trieb oder schleppte er seine Opfer, und erst in der unterirdischen Sicherheit, aus der kein Schrei nach draußen drang, entfaltete sich das entsetzliche Paradies desSadisten. Bartsch, der das Töten nicht fürchtete, fürchtete sich vor seiner Mutter und ihren Vorwürfen. Diese Angst diktierte ihm einen Fahrplan, den er noch in der höchsten Erregung einzuhalten vermochte, und wenn er sich gelegentlich verspätete, so mußte er immer neue Geschichten erfinden, die sein Ausbleiben erklärten. Sicher und frei vom Druck des Minutenzeigers der Mutter fühlte er sich nur nachts in der Höhle.
Tilmann Moser
Natürlich hatte ich den Wunsch, die Vorstellung, von zu Hause fortzugehen, einfach weglaufen zu müssen. Was mich hauptsächlich davon abhielt, war, um es frei heraus zu sagen, mein sogenannter «Generalplan», den ich mir ohne den Stollen einfach nicht denken konnte. Er war einfach ein Teil, ein großer Teil meines Lebens geworden, wenn man es unbedingt Leben nennen will.
Jürgen Bartsch, 25. Juni 1968
[Das Haus der Familie Bartsch in der Siedlung «Glaube und Tat» bei Langenberg steht hoch oben auf einem steilen Hügel – wie ein Kopf auf einem Leib. Unten in diesen Leib führt der alte Bergwerkstollen, in den der dreizehnjährige Jürgen hineinkroch und wo er Sicherheit und Geborgenheit fand. Dreizehn Jahre hatten genügt, um ihm zu zeigen, wie wenig lebenswert sein eigenes Leben war. Hier, im Schoße der Mutter Erde, hat er viermal symbolischen Selbstmord begangen, hat «sich Gewalt angetan» – nicht nur sich als Kind, sondern sogar sich als Ungeborenes, um seine eigene Geburt in eine so unsagbar abscheuliche Welt zu verhindern.]
Ich habe die Höhle entdeckt, kurz nachdem ich aus Marienhausen nach Langenberg zurückkam: Ich bin da unten in der Gegend mit anderen Kindern rumgestrolcht, und ich habe von ihnen erfahren, daß es da eine Höhle gab. Mit drei oder vier anderen Kindern bin ich bis zur ersten Abzweigung gegangen. Ich habe eine Zeitung oder so was angezündet und da reingeleuchtet.Dann haben wir «Hilfe!» gerufen und sind alle schnell rausgelaufen.
Die Anderen sind weggegangen, aber ich bin noch ein bißchen dageblieben. Ich bin nach Hause gegangen und habe mir eine Kerze oder so was geholt. Kurz danach bin ich dann alleine bis ganz hinten durchgegangen und habe mir alles angeguckt und mich da richtig in dieses Ding verliebt, weil ich das dann so ein wenig als mein «Reich» angesehen habe, wie mein Zuhause, als etwas, was mir gehörte, wo nicht jemand mir da dazwischenzufurzen hatte.
Es war nicht üblich, daß andere Kinder da spielten. Das war so düster und unheimlich, daß noch nicht einmal ein Erwachsener reingegangen wäre. Ich bin aber sehr häufig da reingegangen, erst ohne jeden Hintergedanken. Ich hatte eine Kerze und habe das alles schön beleuchtet, bis die Flamme an den Wänden flackerte und plötzlich – zack! – Wassertropfen fielen da runter. Es war furchtbar.
Das waren alles Felswände. Es kam ein bißchen Farn raus. Das war ein wunderschöner Ort, jedenfalls für mich. Früher habe ich mich gerne unter dem Tisch verkrochen, mit einer Decke darüber. Als kleiner Junge bin ich auch gern in Röhren reingekrochen.
Mit der Zeit habe ich auch drei oder vier verschiedene Schreckschußpistolen versteckt. Das war 1962. Da ging es mir schon darum, mit der Waffe etwas zu machen, was aber nicht ausschließt, daß ich so eine Waffenleidenschaft trotzdem noch gehabt habe.
Ich habe auch an Zeitungsinserate gedacht, so: «Balljunge gesucht für Kegelklub» oder so was. Solche Anzeigen stehen wirklich in der Zeitung.
Ich habe meinen Führerschein Anfang 1965 gemacht, aber ich hatte ihn bloß ungefähr ein halbes Jahr. Ich hatte wieder gesoffen. Ich hatte Detlef Düren zum Schlachthof gebracht und bin dort in die Wirtschaft gegangen. Ich hatte mir eine Flasche Williamsbirne gekauft und habe etwa ein Drittel davon getrunken. Düren hatdie Schweine eingeladen, und ich bin
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