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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Dienstag und Mittwoch wird mein alter Freund Paul, wie Du sagst, «auf dem Flur» im Gericht sein, wie die anderen «Presseleute» es in solchem Fall auch immer machen, wenn man noch nicht zugelassen ist? Da werde ich dann an den beiden Tagen oft an Sie denken, (daß das schriftliche erste Du doch nie gleich 100%ig klappt), wenn ich weiß, das Du da bist.
    Ach, es ist wirklich ein Jammer, daß Herr Möller nicht mehr dabei ist. Aber da ist nun wohl nichts mehr daran zu ändern. Ich schrieb Ihnen ja auch im letzten Brief schon davon.
    Mit Sicherheit kann man so etwas gar nicht sagen, aber wenn ich jetzt rauskäme, hätte ich Angst, rückfällig zu werden. Einmal im Wuppertaler Gefängnis hatte ich eine zufällige Begegnung mit einem Jungen. Nach dem Mittagessen wurden die Kübel und die Wasserkanne rausgestellt. Ich machte die Türe auf, und da stand ein Junge, vielleicht zehn Jahre alt. Er hatte eine kurze Lederhose an, er war so schön lang und schlank, die schönen nackten Beine und alles konnte man sehen. Ein liebes, nettes Gesicht. Er gefiel mir sehr gut, genau mein Typ. Er wirbelte einen Kulturbeutel durch die Luft, er mußte irgendwas abholen.
    Als ich den Jungen plötzlich sah, dachte ich, um Gottes willen, das ist doch einer, den müßtest du doch jetzt nehmen! Im selben Moment ist mir unwahrscheinlich elend geworden, ganz furchtbar schlecht. Ich konnte mich nicht mehr recht auf den Beinen halten, und der Schweiß ist ausgebrochen. Ich habe die Tür zugeschlagen und mich auf mein Bett geworfen. Ich konnte im Moment nicht mehr stehen. Und da wird man hinterher gefragt: «Warum haben Sie den Jungen nicht reingeholt?» Das war einrichtiggehendes Schockerlebnis. Wenn jetzt die Tür hier aufginge und ein hübscher zwölfjähriger Junge in kurzer Hose sich hinstellen würde, würde ich vielleicht anfangen zu kotzen. Auf jeden Fall würde ich irgendwie zusammenbrechen, weil es zu plötzlich käme.
    In Zukunft würde ich nur einen Beruf annehmen, wo ich wüßte, daß es mit Kindern zu tun hätte. Daß der Trieb weg ist, das setzen wir voraus. Ich würde dann einen Beruf annehmen, wo ich Kinder pflegen, Kindern irgendwie helfen könnte. Es könnten kranke, körperlich oder seelisch behinderte Kinder oder vielleicht blinde Kinder sein. In dieser Arbeit, so wie ich mich kenne, würde ich regelrecht aufgehen. Ich hoffe ganz ehrlich, daß ich meine Wiedergutmachungsträume irgendwann mal wahrmachen kann. Wenn ich z.   B. in solch eine Anstalt käme und sie mir wirklich helfen könnten, wenn sie mich hinterher entlassen würden, in solchen Anstalten sind ja auch immer Kinder. Vielleicht, habe ich mir schon gedacht, könnte ich in der Anstalt dann arbeiten, wenn ich mich mit den Leuten gut verstehe und sie mich wirklich gesund gemacht haben. An diesen Leuten hätte ich doch einen gewissen Halt. In solchen Anstalten ist immer eine Kinderabteilung, und ich habe mir schon gedacht, da würde ich doch sehr gerne mitarbeiten. Wenn die Leute mich doch als gesund befunden haben und ich darf dann nach Hause rausgehen, ich meine, dann brauchte man doch keine Angst mehr zu haben.
    So, die Hausarbeiter haben das Abendessen schon im großen Topf, da muß ich, lieber old friend Paul, leider schon wieder Schluß machen. Sei mir also bis zum nächsten Mal auf’s herzlichste gegrüßt von Deinem ollen
    Jürgen Bartsch134

12  Die Hölle
    Wenn dieser Mann vor Schmerz über eine zerfetzte Hand aufschreien würde, jeder von uns hätte Mitleid mit ihm, denn wir sähen ja Blut und Sehnen. Weil aber sein Schmerz innerlich ist und weil er andere Menschen verletzt hat, kann er kaum auf Mitleid rechnen.
    Karl Menninger
     
    Wir dürfen mit dem zunächst nicht bewiesenen Satz beginnen, daß jedes Urteil, das gemeinhin als gerecht empfunden wird, das psychologische Verständnis des Täters, d.   h., die Kenntnis seiner Motive, voraussetzt. Die gleiche Tat kann, je nach ihren Motiven, von uns gebilligt oder verurteilt werden. Den Feind im Kriege zu ermorden wird gepriesen, den Angreifer in Notwehr zu töten, wird zugebilligt, in verständlichem Affekt ein Menschenleben zu vernichten, wird manchmal verziehen, der Raubmörder wird einstimmig verurteilt. Die bloße Tat ist überall die gleiche, unsere verschiedene Beurteilung gilt lediglich den verschiedenen bewußten Zielsetzungen und den verschiedenen affektiven Motiven des Täters. Ohne die Motive zu kennen, kann man zu einer Tat überhaupt nicht Stellung nehmen. Ja selbst die Hauptfrage, ob eine

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