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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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«Lebenslänglich» zu kämpfen, allein um zu überleben. Ich habe Prof.   Dr.   Rasch gefragt, ob die Geschichten stimmen.
Ganz
so schlimm sei es wohl nicht, meinte er. Das kann man auch wieder verstehen; wie man will. Tatsache jedenfalls ist, daß der Vorsitzende in W.-tal gesagt hat
«Da
darf er nicht hin, da würde er in kurzer Zeit sterben.» Wie immer er das gemeint haben mag. Male ich schwarz? Vielleicht habe ich Angst, wahrscheinlich sogar, aber wer ist da, der sie mir nehmen kann? [Ausgestrichen: «Solange ein Prof.   Dr.   Lauber eine Heilanstalt leitet»] Wenn meine Ahnungen wirklich nur Alpträume sind, dann wäre ich
gern
in einer
Heil
anstalt; in der man vielleicht versuchen würde, mir zu helfen, daß ich gesund werden kann (entschuldigen Sie das Wort).
    Das [sein Langenberger Kleiderversteck] war keine Höhle, das war eine alte runde große Betonröhre, die eigentlich für den Straßenbau hatte verwandt werden sollen und nun am Anfang des Feldweges lag, welcher zur HÖHLE führte. Die Röhre war etwa 90   –   100   Meter von unserem Haus entfernt, konnte aber von dort schon nicht mehr gesehen werden.
    ***
    [Die folgende Erinnerung kommt plötzlich in einem Brief, ohne Einleitung – und ohne jegliche Korrektur, als wenn es eine zweite,korrigierte, endgültige Fassung wäre. Danach, vor der Fortsetzung des Briefs, kommt etwa eine halbe Seite leeres Papier.]
     
     
    19.   Februar 1971
     
    Er war ein guter Kamerad. Lange vor mir war er schon in Marienhausen. Aus Köln war er, und er war der Kleinste in unserer Klasse. Auf sein «Kölle» . (Köln) ließ er nichts kommen. Wie oft er sich gerauft hat, weil jemand seine Stadt beleidigt hatte, ich kann es nicht sagen. Weil es keine «Stadt» gibt, sondern nur Menschen gibt, die jemand etwas bedeuten, heißt es wohl, daß er stets von Heimweh geplagt war.
    Er war auch länger dort als ich. Im Chor kam er, da er nun wirklich der Kleinste war, niemals umhin, in der ersten, vordersten Reihe zu stehen, und so quasi bei jeder Probe sein Teil an Schlägen in die Nieren und ins Gesicht zu empfangen. Oh Gott, mehr als sein Teil, denn es gab auch die letzte Reihe, die verhältnismäßig geschützt war. Wie oft er getreten und geschlagen wurde, ich kann es nicht sagen. Es soll hier keine Heldenverehrung stattfinden, die würde er uns nie verzeihen. Denn er war kein Held und wollte keiner sein. Hatte Pater Pütlitz oder der dicke Katechet ihn in der Mangel, dann schrie er wie kein Anderer, dann brüllte er seinen Schmerz hinaus, daß man glauben konnte, die verhaßten, heiligen Mauern stürzen ein.
    1960, im Zeltlager in Rath bei Niedeggen, an einem Sommerabend, ließ Pater Pütlitz ihn «entführen». Ein Spiel sollte es sein, ein lustiges. Aber Herbert Grewe wußte es nicht, weil ihm niemand kundtat.
    Man schleppte ihn tief in den abendlichen Wald, fesselte, knebelte ihn, steckte ihn so in einen weißen Schlafsack, ließ ihn liegen. Er lag bis nach Mitternacht. Angst, Bitten, Verzweiflung, Einsamkeit, es ist müßig. Was er gefühlt hat, ich kann es nicht sagen. Nach Mitternacht wurde er ausgelacht, Spott und Hohn, ein Spiel, ein lustiges.
    Als er ein paar Jahre von Marienhausen fort, aber noch langenicht erwachsen war, stürzte er sich bei einer Bergtour zu Tode. Er wurde geboren, um geschlagen und gequält zu werden und «sodann» zu sterben. Er war der Kleinste in unserer Klasse. Er hieß Herbert Grewe. Und er war ein guter Kamerad.
    ***
     
     
    Düsseldorf, den 7.   3.   1971
     
    Daß ich meine Taten nicht mit völlig freiem Willen begangen habe, bestreitet heute kaum jemand mehr. Jeder Gerechte, der mich heute ohne zu zögern foltern würde, würde dies aber aus völlig freiem Willen tun. Der Gerechte, er wäre keiner mehr.
    Warum steckt noch so viel Mittelalter in uns? Damals wurden Sexualtäter zum Tode verurteilt durch den venezianischen Spiegelsaal. Boden, Wände, Decke, nur Spiegel. In der Mitte ein Stuhl, auf den der Verurteilte gesetzt wurde. Während der Täter seinen eigenen Tod anschauen mußte, weil ihm der Länge nach von «unten» bis zum Hals eine lange Stange langsam durch den ganzen Körper gebohrt wurde, schauten die für das Urteil Verantwortlichen dabei zu und – machen wir uns nichts vor – amüsierten sich meist köstlich dabei. Für das Vorhandensein solcher Urteilsmethoden kann es nur eine Erklärung geben: der Täter hatte ‹sadistische Triebbefriedigung› gesucht. Er lud schwerste Schuld auf sich, was anderen Menschen

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