Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Mami wieder vor kurzem Yvonnes Adresse und Namen an Herrn Werremeier, die NEUE also, weitergegeben, ohne Yvonne oder mich zu fragen. Yvonne und auch ich wären [doppelt unterstrichen]
dagegen
gewesen. Yvonne hat von Herrn W. 500.– DM bekommen. Wenn ich an die sonstigen Beträge denke, muß ich zu dem Schluß kommen, daß Mami dabei wohl auch nicht leer ausgegangen ist. Diese ganzen Geld-Geschichten gefallen mir überhaupt nicht, aber solange Mami und Papi das Geld für mich verwenden, kann ich als folgsamer Sohn natürlich nicht aufmucken.
Als ich beim Besuch mal auf Herrn Moor zu sprechen kam,ging es los: «Wir warnen Dich dringend vor dem Mann, der nutzt Dich nur aus!» «Wieviel Geld hat der eigentlich schon für Deine Verteidigung zur Verfügung gestellt?» Daß Herr Moor als ‹freier› Journalist dazu vielleicht gar nicht in der Lage ist, interessiert sie nicht.
Ich bin anderer Ansicht. Ich denke nicht daran, meine Freunde an Markstücken zu messen. Zu diesem eben genannten «Ablehnungsgrund» kommt bei meinen Eltern noch die Unlust hinzu, sogenannte «Familiengeheimnisse» zu erzählen. Du weißt ungefähr, welche Dinge ich meine.
Du weiß ja, daß Mami «unfehlbar» ist. Du darfst auch nicht annehmen, daß sie Dir jemals verziehen hat, daß Du Deinem Bruder [Jürgens Vater] zugemutet hast, ein paar Mark für die Wohnung seiner Mutter mitzubezahlen, oder daß sie einmal aus Versehen einen Brief erhielt, der nicht für sie bestimmt war. Das alles hat sie Dir niemals verziehen. Das kann sie, ihrer Art nach, wohl auch nicht.
Darum (weil Mami einfach etwas gegen Dich hat) war ich auch
dagegen
[doppelt unterstrichen], daß Du als Zeugin im Prozeß aussagen solltest. Wie Du doch auf die Zeugenliste gekommen bist, das weiß der Teufel. Aber wenn Du im Zeugenstand ehrlich und aufrichtig aussagst (wozu Du ja verpflichtet bist), dann kann ich Dir heute schon sagen, daß Mami Dir ein großes Theater machen wird. Unangenehme Wahrheiten, wie gesagt, liebt sie gar nicht.
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Düsseldorf, den 19. Januar 1971
… Mit dem eigentlichen «Druck»-Gefühl auf dem Kopf ist es so ziemlich [ein Wort unentzifferbar]. Nur die Schwierigkeiten mit den Augen sind geblieben, ja schlimmer geworden. Für morgen bin ich wieder zum Augenarzt bestellt. Die Dinger sehen böse aus. Da muß irgendwas die Augäpfel gegen die Lider drücken, denn die Bindehaut wird immer mehr verschrammt. Hoffentlich istdas bald vorbei, denn endlos weitergehen darf das nicht, sonst ist am Ende eines der Augen im wahrsten Sinne des Wortes futsch.
***
Düsseldorf, den 29. Januar 1971
… Neu ist, daß nun noch ein Fachmann hinzugezogen wird: auf Anraten von Prof. Dr. Rasch, dem Sexualfachmann, wird [der Psychoanalytiker] Herr Prof. Dr. Dr. Tobias Brocher, Frankfurt, hinzugezogen. Sie kennen ihn ja wohl auch, ich las das in Ihren Briefen. Ich meine, Herr Möller hat auch gesagt, er wäre ein guter Fachmann.
Von Herrn Möller habe ich bestimmt 6 – 8 Wochen überhaupt nichts mehr Persönliches gehört. Ich merke es überhaupt in der letzten Zeit, er ist ein klein wenig Bartsch-müde; ich nehme es ihm aber nicht übel. Herr Landgerichtsdirektor Fischer schreibt von der Dringlichkeit der neuen Fachleute. Wahrscheinlich will er den März-Termin doch einhalten. Mir sollte es nur recht sein.
Ob Sie mich einmal besuchen sollten, mein lieber alter Mr. Paul? Nichts lieber als das!! Wirklich, ich würde mich ganz wahnsinnig darüber freuen! Natürlich im Februar, man weiß ja nicht, was später einmal ist.
Jürgen Bartsch134
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[Während der Vorbereitung meines Taschenbuches
Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch
machte ich eine Reise ins Ruhrgebiet, wo ich mit einigen Menschen sprach, die Jürgen lange gekannt hatten; Jürgens sämtliche Verwandte, von seinen Eltern vorher gewarnt, lehnten jeden Kontakt mit mir ab. Mit Viktor, Jürgens bestem Freund im Don-Bosco-Heim, habe ich telefoniert, um ein Treffen zu arrangieren, aber als ich zur Verabredung erschien, fand ich eine telefonische Nachricht nicht von ihm, sondern von seiner Mutter vor: Ihr Sohn betrachte die Angelegenheit als abgeschlossenund würde nicht zum Treffen kommen. Aus den verschiedenen Gesprächen in und um Essen ergaben sich einige neue Fragen. Ich hatte auch zu meinem Erstaunen erfahren, daß ich Jürgen möglicherweise, nach unserem dreijährigen Briefwechsel, nicht als arbeitender Journalist, der darüber schreiben würde,
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