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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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lehnte zwar keine Frage ab, aber immer und immer wieder antwortete er: «Soweit ich mich erinnern kann, stimmt das nicht.» Der Landgerichtsdirektor fragte den Pfarrer: «Haben Sie jemals etwas mit dem Angeklagten gehabt? Haben Sie sich an den anderen Schülern vergangen?» Der Pfarrer antwortete: «Nein, nein, ich glaube, bestimmt nicht.»
     
    Während der Aussage von Pater Pütlitz überfiel ihn eine bemerkenswerte sprachliche Fehlleistung. Er erklärte der Kammer, was für eine schwierige Aufgabe er mit «hundertsiebzig bis hundertachtzig Jungen» gehabt habe, und fügte dann hinzu: «Man muß doch für Ordnung sorgen mit hundertfünfundsiebzig!»
    Am Ende seiner Aussage kam PaPü aus dem Gerichtssaal heraus mit einer apoplektischen Gesichtsfarbe fast wie rohe Leber. Kein einziger der vielen wartenden Reporter versuchte, ihn anzusprechen; uns allen war klar, daß er in dem Augenblick zu einem Gespräch kaum aufgelegt war. Er hat das Gerichtsgebäude in solcher Eile verlassen, daß er es unterließ, sein Spesengeld von der Kasse abzuholen.
    Nachdem Jürgen Bartsch selber die Verhältnisse zu Hause geschildert hatte, in denen er aufwuchs, sagte sein Adoptivvateraus. Da wurde ein ganz anderer Ton angeschlagen, als man ihn während des Wuppertaler Prozesses gehört hatte. Der Wuppertaler Oberstaatsanwalt Fritz Klein hatte damals erklärt: «Das Elternhaus kann nicht besser gedacht werden. Welche nachteiligen Einflüsse sollten von einem solchen Vater ausgehen? Die Mutter hat ihn möglicherweise etwas verzogen, aber ihn mit Liebe und Güte großgezogen.» Der Wuppertaler Gerichtsvorsitzende Walter Wülfing hatte gesagt: «Den Eltern ist vorgeworfen worden, daß sie sich besser hätten um ihn kümmern müssen. Das sind reine Spekulationen.» Die Richter im zweiten Prozeß in Düsseldorf drückten mehrmals ihr Erstaunen darüber aus, daß das Wuppertaler Urteil eine «liebevolle Atmosphäre», ein «gepflegtes Elternhaus» festgestellt hatte.
    Die Aussage von Gerhard Bartsch in Düsseldorf hat die damaligen Schilderungen der beiden jungen Herren von der Jugendgerichtshilfe im Wuppertaler Prozeß – allerdings mit neununddreißig Monaten Verspätung – bestätigt. Jürgens Vater hat in Düsseldorf zugegeben, daß Jürgen in einer «sehr gespannten Atmosphäre» existierthabe. «Ein direktes Eheleben hat es bei uns nicht gegeben.» Seine Frau habe das «Führerprinzip» in der Familie übernommen. «Sie wollte kein Kind haben, sondern eine Puppe.»
    Die ganze Beweisaufnahme hat unter Ausschluß der Öffentlichkeit und der Presse stattgefunden. Während dieser Zeit, auf wiederholtes Ersuchen der Kammer, ist Frau Bartsch als Zeugin schließlich doch erschienen. Sie saß an einem Tisch mit einer Flasche Wasser und einem Glas und hörte mit erstaunter Miene zu, während Jürgen erzählte, wie sie ihn als Kind, als Jugendlichen und als jungen Mann behandelt hätte. Alles, aber auch alles hat Frau Bartsch restlos abgestritten: «Nein, so war das nicht   … Das ist einfach nicht wahr   … Jürgen! Wie kannst du so etwas sagen!» Die zweite der aufschlußreichsten Fehlleistungen des Prozesses kam, als Jürgen erzählte, seine Mutter habe einmal mit einer Bierflasche nach ihm geworfen. Als Frau Bartsch das abstritt, faßte sie nach der Wasserflasche auf dem Tisch und nahm sie in die Hand, als wenn sie sie werfen würde.
    Einen bemerkenswerten Wortwechsel gab es, als der Vorsitzende Jürgen fragte, wie er zu seinem Beruf stehe: «Ich mochte ihn nicht. Das Schlachten war mir zuwider.» «Aber wieso konnten Sie es denn mit den Jungen machen?» «Ich hatte doch kein sexuelles Gefühl für Tiere.»
    Es könnte niemand der Düsseldorfer Kammer vorwerfen, eine zu enge Skala von Expertenmeinungen angehört zu haben. Acht Hauptgutachter saßen da in einer Reihe, und von den Presseplätzen aus betrachtet, saßen sie von links nach rechts geordnet wie in einem Parlament, in mehr oder weniger passender Reihenfolge von fortschrittlich bis konservativ: Rasch, Lempp, Bosch, Müller-Luckmann, Mantell, Lauber und Panse. Von den drei Gutachtern im ersten Prozeß war nur Herr Lauber übriggeblieben.
    Hans Ludwig Lauber, Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Düsseldorf, hatte sich schon vorher anderthalb Stunden lang gegen einen vernichtenden, exquisit dokumentierten Ablehnungsantrag des Verteidigers Rolf Bossi wegen Befangenheit wehren müssen. Nach Laubers mit nervöser Stimme vorgetragener Selbstverteidigung hat Herr

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