Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Bossi seinen Ablehnungsantrag gutmütig zurückgezogen. Die Ablehnung von Herrn Lauber, der ganz rechts im Gerichtssaal saß, hätte der Kammer einen Grund weniger gelassen, ein aufgeklärtes Urteil zu fällen, nachdem sie auch die konservativste, um nicht zu sagen reaktionärste Schule der Psychiatrie angehört hatte. Herr Bossi hat das vielleicht die ganze Zeit gewußt und den Antrag nur als Taktik genutzt, gewisse vergangene Äußerungen von Herrn Lauber sorgfältig und gründlich für das Gericht zu zerpflücken; das ist ihm glänzend gelungen.
Zur Taktik, die Lauber selber in seinem Gutachten anwandte, gehörte das Zitieren aus den Arbeiten seiner wesentlich fortschrittlicheren Kollegen Wilfried Rasch, zur Zeit des Prozesses an der Universität Köln und bald danach Ordinarius für forensische Psychiatrie an der Freien Universität Berlin, und Tobias Brocher, Professor am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut und Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für Sexualforschung an der UniversitätGießen, die beide wesentlich weiter links als Lauber in der Gutachterreihe saßen. Im Wuppertaler Prozeß, nur neununddreißig Monate früher, hatte Lauber eine Verbindung zwischen Sadismus und Sexualität restlos und energisch abgestritten und unter hartnäckigem Druck des Verteidigers Heinz Möller lediglich eingeräumt, diese Frage sei «offen». In Düsseldorf redete er ziemlich ausführlich über die für ihn nun anscheinend selbstverständlich gewordene Verbindung zwischen Sadismus und Sexualität, als ob niemand sie je in Frage gestellt hätte.
Dr. Ursula Mantell, einundsechzig Jahre alt, Fachpsychologin am Bochumer Institut für Gerichtspsychologie, hatte von allen acht Hauptgutachtern die längste Vortragszeit angemeldet, «mindestens anderthalb Stunden» – möglicherweise, weil Rolf Bossi sie unmittelbar nach Beginn des Prozesses als inkompetent äußerst scharf angegriffen hatte. Die Adoptiveltern, sagte Frau Mantell, hätten «das strahlende Baby» Jürgen «mit offenen Armen aufgenommen», obwohl sie diese lyrische Behauptung mit nichts dokumentierte. Von den pathologischen Umständen in Jürgens Kindheit ließ sie sich nicht sonderlich imponieren: «Es gibt weitaus schlimmere Milieus.» Sie bezeichnete die Adoptivmutter als «eine unkomplizierte Hausfrau» und die erschreckend kalten und gespannten Zustände zu Hause als «nicht entwicklungshemmend». Daß Jürgen ihr sagte, er habe sich mit ganzen sechs Jahren «in ein Mädchen verknallt», bedeutete für Frau Mantell «eine heterosexuelle oder wenigstens bisexuelle Neigung». Am merkwürdigsten von allem: «Bartsch hat sich einen Lebensplan als Erotomane zurechtgelegt. Er hat sich für sein Leben ausschließlich als Geschlechtswesen entschieden. Dazu war ihm jedes Mittel recht.» Frau Mantell ist aber der einzige Lacherfolg eines fatalen Prozesses gelungen, als sie Jürgen über Pater Pütlitz zitierte: «ein Franz Josef Strauß in Talar».
Der einzige Psychoanalytiker unter den Gutachtern, Tobias Brocher, hat ein überzeugendes mündliches Gutachten vorgetragen. Unter anderem sagte er: «Bei Jürgen Bartsch fielen Persönlichkeits- und Defektentwicklung zusammen. Kinder könnennichts anderes tun als widerspiegeln, was mit ihnen geworden ist. Wir wissen ganz genau, daß eine sexuelle Frustration eine aggressive Haltung bewirkt. Bei einer normalen Entwicklung verschmelzen Aggression und Sexualtrieb. Diese Verschmelzung ist bei dem Angeklagten nicht eingetreten … Mit Schulbeginn zeigt sich sehr deutlich seine soziale Hilflosigkeit, die ihn erstmalig auch zum masochistischen Opfer der Aggressionslust anderer Kinder werden läßt. Er sagt auch heute noch, daß er sich nicht habe wehren können. Seine Aggressions- und Vergeltungsimpulse haben sich als verborgene Wut so aufgestaut, daß er noch heute mit vollem Affekt in der Erinnerung sagt: ‹Ich hätte sie alle zerfleischen können.› Der aggressive Anteil dieser Rachewünsche bleibt erhalten und wird konstant mit heimlichen illusionären Allmachtsphantasien verbunden, während zugleich sein unbewußter Zweifel an seiner männlichen Identität verstärkt wird.
… Die gesuchten Triebobjekte müssen hilflos und wehrlos, möglichst qualvoll gefesselt, möglichst ihm ganz ausgeliefert sein …»
Trotz aller erstaunlichen Enthüllungen des zweiten Prozesses haben drei der acht Gutachter behauptet, Jürgen Bartsch sei für seine Taten voll verantwortlich. In ihren Gutachten gab es Behauptungen, die
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