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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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gebraucht, um die Jungen zu betäuben, damit sie nicht so viel Schmerzen hatten?» «Ja, natürlich», habe ich gesagt. Nach diesen Rettungsankern habe ich immer gegriffen, um es nicht so schlimm zu machen, wie es in Wirklichkeit war.
    Dadurch kamen viele sogenannte Lügen darein. Das war aber nicht böse gemeint. Ich bin mit der Zeit immer ehrlicher geworden, bis ich zum Schluß ganz ehrlich war.
    Da war einer von der Wuppertaler Staatsanwaltschaft gekommen. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: «Ja, mein Junge, man muß eben alles mal sagen! Nur so kann man dir helfen.» Das ist wörtlich wiedergegeben. So ein Angeklagter läßt sich natürlich davon immer ein wenig beeindrucken. Verdammt noch mal, sie sollten doch wenigstens ehrlich gewesen sein! So etwas dürfen sie nicht sagen, wenn sie wirklich im Hinterkopf doch genau wissen: «Wir wollen einen Scheißdreck tun, nur auf keinen Fall helfen»!
     
    Peter Frese war fünfzehn Jahre alt. Als Blonder war er an sich nicht mein Typ. Es war sicher ein wenig der Not gehorchend. Ich mußte damit rechnen, daß er mir vielleicht ein paar knallen würde. Was ich aber vorher nicht wissen konnte, der Junge warderart ängstlich, zu keiner Sekunde hätte er Gegenwehr geleistet. Er hat sich nur derartig gut abgedeckt, daß ich dadurch allein schon in Raserei und Wut kam, so daß ich ihm hinterherrief: «So, du Arschloch, nun wehr dich doch endlich mal!» Aber er sagte: «Nein, nein!» In dem Moment wäre es mir sehr lieb gewesen, wenn der Junge sich gewehrt hätte, obwohl die Hilflosigkeit der Kinder im allgemeinen für mich ein Anreiz war. Aber ich war ehrlich überzeugt, daß der Junge keinerlei Chancen gegen mich gehabt hätte.
    Frese habe ich versucht zu küssen, aber das gehörte zu keinerlei Plan. Das kam irgendwie aus der Situation heraus. Ich weiß nicht wie, von Sekunde zu Sekunde war der Wunsch da. Ich dachte, daß das zwischendurch mal ganz toll wäre. Das war für mich etwas Neues. Viktor und Detlef hatte ich niemals geküßt. Wenn ich heute sage, er wollte geküßt werden, würde mir jeder sagen: «Du Schwein, das kann dir sonst wer glauben!» – aber das ist tatsächlich wahr. Es ist meiner Ansicht nach bloß dadurch erklärbar, daß ich ihn vorher so furchtbar geschlagen hatte. Wenn ich mal versuchte, mich in seine Lage zu versetzen, kann ich mir nur vorstellen, daß es für ihn einzig und allein darauf ankam, was schlimmer war, was weher tat. Ich meine, geküßt zu werden von jemandem, der mir abscheulich ist, ist mir immer noch lieber, als wenn derjenige mir von hinten eins in die Hoden tritt. Aus dem Sinn ist das erklärlich. Aber damals war ich etwas verblüfft. Er sagte: «Weiter! Weiter!» Dann habe ich schließlich weitergemacht. Es wird richtig sein, daß es ihm allein darauf ankam, was nun leichter zu ertragen war.
    Ich mußte ihn festgebunden da in der Höhle lassen, um pünktlich zu Hause zu sein. Als ich später in die Höhle zurückkam und sah, daß er weg war, war das ein ganz unglaublich enttäuschendes Gefühl. Minutenlang habe ich wie angewurzelt gestanden. Ich habe immer bloß gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Ich habe ziemlich logisch nachdenken können. Minutenlang habe ich das Gefühl gehabt, da müßte doch nun eigentlich ein Wunder geschehen, daß er wieder zurückkäme. Später habe ich natürlichauch daran gedacht: Was ist nun, was wird er machen? Ist er vielleicht sofort zur Polizei gegangen? Aber als ich da in der Höhle stand, spürte ich vor allem eine riesige, ratlose Enttäuschung.
    Dieser Vorfall war an einem Samstag. Montag bin ich schon nach Mülheim auf Suche gegangen. Da habe ich zwei Jungs zusammen angesprochen. Ich wollte nur einen mitnehmen, aber sie sagten: «Wenn wir schon mitgehen, dann gehen wir zu zweit mit.» Die waren beide etwa zehn Jahre alt. Ich habe ihnen gesagt: «Hier hat erst einmal jeder von euch zwei Mark. Überlegt es euch noch mal, und ich komme gleich wieder. Wenn dann einer von euch mitgeht, bekommt er zwanzig Mark. Die könnt ihr euch dann teilen.» Ich bin ein Stück weggegangen und wieder zurückgekommen, und sie sagten, sie wären mit zwei Mark schon zufrieden.
    Am Dienstag haben sie mich festgenommen.
    ***
     

13  Der Revisionsprozeß
    Der Häftling glaubt leicht, er sei ganz in der Gewalt des Richters; in Wirklichkeit ist es der Richter, der von Kräften abhängt, die er nur wenig kontrollieren kann: Tradition, Präzedenzfälle, vor allem aber Informationsmangel   … Ohne

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