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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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erinnern, wie das Gespräch verlief, aber an einem Punkt ergab es sich spontan, Jürgen von einem Abend während seines Düsseldorfer Prozesses zu erzählen, als mich Werremeier zu später Stunde, nach einem langen und alkoholreichen Abendessen, mit der direkten Frage überfallen hatte, ob ich homosexuell sei. Da ich 1972 schon etwas mehr als vier Jahre mit Jürgen korrespondierte, hielt ich es für angemessen, wenigstens ihm diese Tatsache offen und ausdrücklich zu bestätigen. Im Düsseldorfer Gefängnis gab es mittlerweile einen neuen, jungen, aufgeklärten Lehrer, Herrn Neumann, der erfolgreich versuchte, Jürgens strenge Isolierung von seinen Mitgefangenen endlich zu überwinden.]
     
     
    4   Düsseldorf, den 5.   3.   1972
     
    … Ein Jahr lang habe ich, oder länger, sozusagen NIE FREISTUNDE gemacht, habe keinen Fuß vor die Zelle gesetzt. Das mag, wenn auch nicht allein, zu allem beigetragen haben. Heute gehe ich jeden Tag. Und fühle mit Angst, daß es dafür schon spät, sehr spät ist.
    Etwas verblüfft hat mich, was für Sachen unser Freund Werremeier Dich gefragt hat. Nun weiß ich ja, daß die inquisitorischeFrage mit JA zu beantworten ist. Im Ernst, darauf wäre ich nicht gekommen. Aber daß Du es mir sagst, beweist immerhin Vertrauen. Ob es mich stört? Aber nein. Wieso denn? Schließlich zähle ich mich A.) zu den aufgeklärten, B.) toleranten Menschen. Interessant wäre für mich allein, ob Du «glücklich» bist, ob Du es so willst, ob Du es bejahst. Darüber hört man nämlich die verschiedensten Meinungen! Aber laß, das ist wahrscheinlich kein Thema für hier und jetzt.
    ***
     
     
    4   Düsseldorf, den 17.   3.   1972
     
    … Du fragst, weil ich immer so dumm geschrieben habe, von Heirat und Kindern und so. Du fragst, wie ich das unter einen Hut bringen will mit meiner Homosexualität. Das will ich gar nicht unter einen Hut bringen. Ich dachte tatsächlich, daß ich meine Homosexualität völlig loswerden könnte. Und das will ich eigentlich auch. Aber das scheint nach dem «heutigen Stand der Wissenschaft» wohl noch sehr fraglich. Nun, die Hoffnung gebe ich nicht auf. Aber natürlich würde es schon ausreichen, wenn die Basis für die Aggressionstaten, der Sadismus, abgeschafft werden kann bei mir.
    ***
    [Jürgen bezeichnete mich mehrmals als seinen besten Freund. Er hat mir keine Reaktion auf das Taschenbuch
Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch
geschrieben. Anläßlich eines Besuchs habe ich ihm ein Exemplar dagelassen mit der Bitte um eine Widmung. Er schickte es mir mit der Post zurück; hineingeschrieben hatte er:
     
    Echte Freundschaft, das ist Liebe,
    die stets gibt, doch niemals nimmt;
    über diese Erde nimmt man
    in die ferne Welt sie mit.
     
    Dieses Gedicht an diesem Datum für Paul aufgeschrieben. In Todesangst. Dabei denke ich an
Dich,
Paul.
    Suche eine schönere Widmung, wenn Du sie findest.
    Dein Jürgen.
     
    Ins Buch legte er auch ein loses Blatt mit folgendem Gedicht:
     
    Wahre Freundschaft soll nicht wanken
    wenn sie gleich entfernet ist,
    lebet nur noch in Gedanken,
    und der Treue nicht vergißt.
     
    Keine Ader soll mir schlagen,
    wo ich nicht an Dich gedacht,
    ich will Sorge für Dich tragen
    bis zur späten Mitternacht.
     
    Wenn der Mühlstein trägt die Reben,
    und daraus fließt kühler Wein,
    wenn der Tod mir nimmt das Leben,
    hör ich auf, getreu zu sein.
     
    (aus Franken)] 
    ***
    [Die Verlegung vom Untersuchungsgefängnis Düsseldorf in die Vollzugsanstalt Köln bedeutete das Ende der vergleichsweise günstigeren Lebensbedingungen in einem Untersuchungsgefängnis und auch natürlich das Ende für Jürgens Psychotherapiestunden mit Frau Suhr.]
     
     
    4000   Düsseldorf, den 5.   April 1972
     
    Lieber oller Kumpel Paule!
    Wie sehr ich Dir für Deinen letzen lieben Groß-Besuch danke, brauche ich ja nicht zu betonen. Es war einfach eine Wucht! Vieleausgesprochene Neuigkeiten hatten wir ja nicht, aber dafür wurde prima gezaubert und hellgesehen. Nun sitze ich hier neben meinen gepackten Sachen und auch meinen Zaubersachen und warte. Morgen früh geht es nach Köln. Liegend. Ist auch besser so. Ich habe ohne Hilfe doch alles selber gepackt, das war in meinem Zustand viel zuviel für mich. Morgen früh werde ich eventuell noch erschöpfter sein. Aber baden will ich unbedingt noch hier, weil ich die warme Dusche einfach dufte finde. Davon kann ich nicht genug kriegen. Da ist es mal gut, alleine zu sein und eventuell länger duschen zu dürfen.
    Ich

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