Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
gegeben, wirklich für immer zu jemandem wie mir zu stehen. Da hat mir meine Yvonne sehr die Augen geöffnet.
Da gab es den Herrn Bewährungshelfer, im Hauptberuf bei der Staatsanwaltschaft tätig, der mir tränenbenetzte Briefe schrieb; aber als ich ihn mit meinen Sorgen belästigte, was später auch finanziell usw. aus mir werden möge, mir unterstellte, alles, wovor ich Angst habe, seien wohl «finanzielle Forderungen». Ein Schöngeist und typischer «guter Mensch», der weint, wenn er Bilder von pakistanischen Kindern sieht, was ihm aber den Appetit auf seine Sahnetorte nicht verdirbt. Natürlich wollte er mich unbedingt besuchen. Als ich ihn bat, damit doch noch ein Jahr oder so zu warten, hat er überhaupt nicht mehr geantwortet.
Da gibt es die Arzthelferin Gisela, die meinen Eltern schrieb, daß sie von mir «einfach nicht mehr los kommt». Na ja, wie lange wohl? Wenn nämlich das der Grund ist, ist es doch auch wieder nicht von Dauer. Wie lange hält sie denn an, die Biologie?
Und so weiter.
Das, alter Freund, ist doch anscheinend alles nicht das Wahre, oder bist Du anderer Ansicht?
***
15 Briefe VII
[Zur Untersuchung war Jürgen vorübergehend in die Heilanstalt Eickelborn, zwischen Soest und Lippstadt in Westfalen, verlegt worden. Prof. Rasch hatte Eickelborn für die beste vorhandene Lösung für Jürgen gehalten, aber mich beunruhigte es, daß die leitenden Ärzte dort wegen ihrer Behandlung von Sexualverbrechern einen weitverbreiteten Ruf als ziemlich kastrierfreudig hatten. Man merkt in diesem Brief, daß Jürgen hier nicht frei schreiben konnte. Die hier erwähnte «Chance» bezieht sich auf einen Psychoanalytiker, mit dem ich gesprochen und der sich unter gewissen Bedingungen bereit erklärt hatte, Jürgen zu behandeln. Die Abkürzung «OP.» bedeutet natürlich Operation – ob die stereotaktische oder die Kastration, ist hier nicht klar.]
4771 Eickelborn, 20/10/71
Lieber alter Freund Paule!
… Tante Maria kommt erst an meinem Geburtstag, dem 6. 11. Das wird wieder ein sehr schöner Nachmittag, mit Magie und GISELA. Über sie gibt es nichts Neues zu sagen, alles ist beim Alten, und das BESTENS. Auch gut, nicht wahr, alter Freund?
Ob Du mich bald mal wieder besuchen kommst? Ich warte schon darauf, und auf den nächsten Brief meines besten Freundes. Übrigens: Im Ernst. Ich bin fast GLÜCKLICH, daß es zukunftsmäßig (OP.) besser aussieht, viel besser. 1000 Grüße Dein
Jürgen
***
[Dreizehn Tage später wurde Jürgen, der sich hier als «nicht völlig erwachsen» bezeichnet, fünfundzwanzig Jahre alt. Nach dem Revisionsprozeß unterhielt er für kurze Zeit Kontakt zur Familie seiner leiblichen Mutter, auch zu dem Halbbruder, den er hier ebenfalls «leiblich» nennt. Bemerkenswert ist seine Erklärung,weswegen seine Eltern auf ihren Vorrang in der Frage von Besuchen bestehen würden.]
4 Düsseldorf, den 24. Okt. 1971
Nun ist es also erst einmal soweit, wie Du ja evtl. eher wußtest als ich. Ich habe es erst am letzten Dienstag beim Besuch von Tante Marthea offiziell gesagt bekommen, daß ich nun Strafgefangener bin. Frau Dr. Suhr hat mich am letzten Mittwoch noch einmal besucht. Wenn ich diesen Mittwoch auch noch hier bin, darf sie auch noch mal kommen. Ich bin sehr froh, daß sie mir versprochen hat, mich weiter zu behandeln und meine Ärztin zu bleiben, falls ich a.) in ein Gefängnis komme, welches nicht allzu weit von Düsseldorf entfernt ist, b.) die Behandlung erlaubt ist, und c.) kein anderer Therapeut in der Nähe greifbar oder willens ist.
Weiter: die Justiz will mich offenbar für meine Strafzeit (offizielles Ende: 21. Juni 1976) in den Jugendstrafvollzug geben. Ich halte das für sehr richtig, weil ich a.) zur Jugendstrafe verurteilt worden bin, und b.) mich für diesen Vollzug am geeignetsten halte. Denn Du weißt wie ich, alter Freund, daß es geradezu ein Witz wäre, mich für «völlig erwachsen» zu erklären. Ich bin es einfach noch nicht.
Weißt Du, ich bin schon umgekleidet worden in Häftlingskleidung, und alles Private ist mir natürlich abgenommen worden (Bücher, Trickgeräte, Zauberliteratur, usw.), so daß meine Zelle im Moment blitzblank leer ist von Persönlichem. Daran wird sich in den nächsten Jahren auch nichts ändern.
Ob Du als nicht Familienangehöriger mich überhaupt einmal besuchen darfst, ist mehr als fraglich, besonders weil meine Adoptiveltern gewiß niemals auf ihren Besuch (alle
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