Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
…
Wie geht es mir hier? Nun, durch Tante Marthea weißt Du es ja schon recht genau, lieber Paule. So genau wie über die Freunde in der Bücherei in Düsseldorf werde ich Dir über die Anderen unserer Gemeinschaft nicht berichten, da wir alle Patienten sind. Aber Gott sei Dank, daß unser Arzt sich einsetzen wird dafür, daß ich auch woanders in Gemeinschaft bleiben darf, solange (hoffentlich nicht allzulange) ich noch im Gefängnis sein muß.Ich wüßte sonst wirklich nicht, wie ich das durchhalten sollte. Ich könnte es auch nicht.
Hier gibt’s genug zu tun, lesen, lernen (Englisch! Tag für Tag), Tennis, (extra Raum), Karten spielen, Brettspiele, unterhalten usw.
[Unter diesen Brief hatte der Kölner Gefängnispsychiater Dr. Goette folgendes hinzugetippt:]
Sehr geehrter Herr Moor!
Der Oberlehrer in D’dorf fragte mich gleich zu Anfang, ob Sie JB besuchen könnten. Da lehnte ich es ab, er wollte es Ihnen sagen. Inzwischen bin ich anderer Ansicht. Sie können Herrn B. gern hier besuchen, ehe sie [nach Amerika] abreisen. Am besten berufen Sie sich auf meine Zusage, wenn Sie hier sind. Offiziell ist nur Di., Do. und Sa. Besuchstag. Wenn Sie mich vorher unterrichten, läßt sich das auch arrangieren.
Ergebenst! Dr. Goette
***
[Bei dem im folgenden Brief erwähnten Besuch in Eickelborn hatte man ein «Phallogramm» von Jürgen gemacht. Zur Phallographie werden Elektroden am Penis des Untersuchten appliziert, so kann man dessen Reaktion beim Anschauen verschiedener Arten von erotischen Bildern messen.]
5000 Köln, den 29. 4. 1972
… Am Donnerstag: Fahrt nach Eickelborn, Heilanstalt. Test mit diesem schrecklichen Sex-Apparat. Ich habe mich todkrank gefühlt. Ergebnis: ich reagiere a.) viel zu stark (darum ab Donnerstag Cyproteron), b.) zwar auf Homosexualität und Sadismus, jedoch c.) wenigstens genau so stark auf normale Sexualität, Frauen und Mädchen. Das war für uns alle ganz neu undschmeißt vieles über den Haufen. Alles in allem positive Ergebnisse, auch für Psychotherapie weit besser als bis jetzt gedacht. Es braucht ja nicht ein Homosexueller «umgedreht» zu werden, sondern die VORHANDENE normale Seite bestärkt zu werden. Dr. Goette: «Die Fahrt hat sich auf jeden Fall gelohnt.» Er meinte auch ehrlich, daß er «selber überrascht» war.
***
[Den nächsten Brief schickte mir Jürgen nach meiner Geburtsstadt El Paso an der texanisch-mexikanischen Grenze.]
5000 Köln, den 8. 5. 1972
… Du fragst nach meinen Erlebnissen in Eickelborn. Nun, drüber habe ich Dir im letzten Brief ja schon ausführlich berichtet, besonders über die Erlebnisse mit diesem scheußlichen Apparat. Nur: nicht gut, daß ich sozusagen auf «Gott und die Welt» reagiert habe, auf einfach alles. Viel zu stark. Aber sind es ja [erst] zehn Tage, daß ich das Cyproteron bekomme. Ich kann noch gar nichts sagen darüber, es ist noch zu früh. Laß erst noch mal wenigstens zehn Tage vergehen. Wir sind zur Zeit auf zwei Tabletten pro Tag. Dr. und ich sind einer Ansicht: wahrscheinlich werden wir etwas heraufgehen müssen mit der Dosierung.
***
[Folgenden Brief schickte Jürgen nach New York.]
Köln, den 25. 5. 1972
… Am Ufer des Rubikon stehe ich, und werfe die Würfel. Sie zeigen mir ***** keine Sechser. Aber ich werde bald nochmal würfeln.
Das Cyproteronacetat haben wir auf drei Tabletten heraufgesetzt. Es wirkte einfach nicht genug.
***
Köln, den 23. 6. 1972
Dieser Brief wird nach Pamplona gehen. Daraus ersiehst Du, daß ich Deinen letzten Brief mit Dank erhalten habe. Du meinst, alter Kumpel, daß ich noch Briefmarken aus Deiner Amerika-Zeit haben müsse. HABE ICH.
… In der Zeitung las ich, daß allein in Eickelborn (es ist mir bekannt, daß andere Anstalten nicht so viel tun) im Jahr ca. zwanzig bis dreißig «solche» Menschen entlassen werden. Und, abgesehen von einem größeren Fall vor etlichen Jahren, hat man von Rückfällen kaum etwas gehört.
Paul, alter Freund, WAS SOLL ICH TUN, WAS SOLL ICH NUR TUN?
Verstümmelung!! Ganz recht, alter Freund, wir sind beim Thema Kastration. Es ist kein Geheimnis, daß Dr. Goette sehr für diese Operation als endgültige und 100%ige Hilfe ist. Es ist auch unbezweifelbar belegt (weiß ich nicht von ihm), daß die Rückfallquote über drei oder vier von Hundert nicht mehr hinausgeht. Das alles anerkannt, bin ich nicht gewillt, diese Möglichkeit in Betracht zu
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