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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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ziehen, solange nicht völlig klar ist, daß es auf GAR KEINE ANDERE ART GEHT. (Ich lehne es also nicht absolut ab.) Und selbst im ärgsten Fall würde ich es mir noch überlegen, ob ich es machen lasse oder lieber krepiere (wäre ja die Konsequenz, wenn alles andere ohne Erfolg bliebe). Leider muß ich mir zutrauen, es selbst dann noch zu verweigern, weil mir diese Entscheidung UNENDLICH SCHWER fiele.
    ***
     

18  Briefe IX
    [Ich führte Gespräche mit mehreren Fachleuten über eine mögliche Behandlung für Jürgen; ich weiß nicht mehr, welches Gespräch er im folgenden Brief meinte. Man muß für seinen wachsenden Ärger in der Frage einer psychoanalytischen Behandlung Verständnis haben. Die Fachleute, die Jürgen untersucht hatten und die ich am meisten schätzte, z.   B. Brocher, Rasch und Suhr-Effing, hielten alle eine Psychoanalyse für die geeignetste Behandlung – das war auch meine Meinung. Auf der anderen Seite, aus Jürgens Perspektive wenigstens, wollte anscheinend kein Analytiker in Deutschland ihm helfen. Solange Jürgen Strafgefangener blieb, gab es wenigstens die Möglichkeit, auf eine Psychoanalyse für ihn hinzuwirken, aber sobald er als Patient in ein Landeskrankenhaus kam, geriet er unter die Kontrolle von Fachleuten, die mehr in Richtung Kastration tendierten. Hinzu kam bei ihm die immer rigider werdende Neigung, sich die Kompetenz anzumaßen, über Behandlungsmethoden selber zu urteilen. Aus ihrem holländischen Urlaubsort Biervliet/​Zeeland schrieb mir am 24.   August 1972   Jürgens Düsseldorfer Therapeutin Dr.   Margret Suhr-Effing.]
     
    Deinen Brief beantworte ich Dir gern und klar – aber etwas spät, weil ich mich verpflichtet fühle, eine lange, «überzeugende» Abhandlung zu schreiben, diese schicke ich Dir aber nicht, weil ich für eine gute Abhandlung über «Verbrechen, Strafe, gesundes Volksempfinden» und Psychoanalyse wochenlang brauchen würde. So beantworte ich Dir nur Deine Fragen.
    Ich bin fest davon überzeugt, daß ein Triebtäter, und insbesondere Jürgen Bartsch, unbedingt eine Analyse braucht. In meinen Gesprächen mit Dr.   Goette habe ich das auch immer betont. Ob es noch eine andere Methode gäbe, Jürgen B. wirkungsvoll zubehandeln, weiß ich nicht, da ich keine Methode kenne und mir auch keine vorstellen kann, außer der mit Medikamenten. Aber die Behandlung mit Cyproteronazetat würde ja nicht in Gegensatz zu einer Analyse stehen. Dr.   Goette zieht die baldige Kastration vor (sicher in der guten Absicht, eine überzeugende Begründung für eine spätere Entlassung aus der Internierung geben zu können). Das wäre eine falsche Lösung in der jetzigen Situation. M.   E. muß man die Kastration als ausgesprochene Notlösung betrachten, die man eventuell nach mehreren Jahren Psychoanalyse und medikamentöser Behandlung noch vornehmen kann, wenn man ohne sie eine Entlassung aus der Internierung nicht verantworten zu können glaubt.
    Ich sagte Dir schon telefonisch, daß es zu den größten Überraschungen meines Lebens gehört, daß Analytiker und Heilanstalten sich nicht um einen Jürgen Bartsch reißen! Ich habe die – vielleicht etwas naive – Vorstellung, man sollte an alle Analytiker und Heilanstalten Dein Buch schicken. Aus ihm wird ohne Kommentar deutlich, welches ungeheurliche Kinderschicksal mit Frustrationen, Verdrängungen, Aggressionsbildungen, fehlender Hilfe zu Sublimierungen oder Oberichbildungen   … usw. geradezu nach Analyse ruft.
    Wenn in dem Eickelborner Gutachten bestimmt wird, daß aufgrund der Tests der psychopathologische Anteil der Störungen größer ist als der neurotische, ist das im psychiatrischen Sinne sicherlich ein «richtiges» Gutachten. Ungeklärt bleibt bloß, wie der große Anteil der Psychopathie sich zusammensetzt. Darüber könnte man lange reden!
    Meine persönliche Arbeit mit Jürgen über dreiviertel Jahr im Düsseldorfer Gefängnis unter widrigen Umständen (Einzelhaft, kahle Räume, nur einmal pro Woche usw.) hat in mir die Auffassung ständig wachsen lassen, daß Jürgen für eine Psychoanalyse besonders geeignet ist. Er ist intelligent und dankbar; er ist nicht nur ein netter, beinahe lieber und «braver» Junge, der lebhaft ins Gespräch kommt, sondern auch eifrig bemüht «ein guter Mensch» . (wörtlich zitiert) zu werden. Sein Leidensdruck iststark. Ich wollte mit ihm nur das machen, was man so «analytisch fundierte aufbauende Gespräche» nennt. Er hat mir von sich aus Träume geliefert,

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