Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
Vom Netzwerk:
vier Wochen einer) verzichten werden. Wegen letzterem ist es nun auch leider so gekommen, daß die Verbindung zu meinen leiblichen Großeltern, und meinem leiblichen Bruder Fritz, alle in Essen, nun wohl wieder abreißen wird. Meine Adoptiveltern werden, da sie alles für mich tun und auch für alles Geldliche aufkommen, mit Sicherheitdarauf bestehen, daß jeder Besuch nur ihnen allein zusteht, und aus gewisser Sicht haben sie da sogar Recht.
    ***
    [Während des Revisionsverfahrens war Jürgens leiblicher Vater zum erstenmal als Zeuge kurz erschienen.]
     
     
    4   Düsseldorf, den 30.   Okt. 1971
     
    Lieber alter Freund Paul!
    … Ja, meine leiblichen Großeltern habe ich erst nach dem Prozeß kennengelernt. Beim Prozeß hatte ich mich gewundert, daß eine Frau R. als Zeugin geladen war, von der ich nie etwas gehört hatte. In der Prozeßpause kam die alte Frau auf mich zu, im schwarzen Mantel, grauen Haaren und starker Brille. Sie war aufgeregt und zitterte. «Jürgen, kennst Du mich nicht mehr, ich bin Deine leibliche Oma.» Ich war verwirrt, und wußte nicht, was «diese Frau» von mir wollte.
    Sie wurde natürlich sofort wegbegleitet. Kurz danach trat sie als Zeugin auf, und es wurde mir alles klar. Meine Mutter war ihre Tochter. Sofort danach trat mein leiblicher Vater auf, machte einen großen Rummel (Perücke, «Bild»-Zeitung usw.) und ließ bei mir nie wieder persönlich von sich hören. Nur beim Prozeß konnte ich kurz mit ihm sprechen, wobei wir uns allerdings hauptsächlich in Floskeln ergingen. Etwa drei Monate nach der Urteilsverkündung besuchte mich meine Oma, mein Opa und mein Halbbruder Fritz mit dessen Frau Elfriede. Erst stotterten wir mächtig herum, aber dann verstanden wir uns doch recht gut.
    Du fragst nach meinen vielen Ausflügen, alter Freund. Alles nur Augenarzt, nur Augenarzt.
    ***

16  Entr’acte
    Am 2.   Dezember 1971 bin ich zu Wilfried Rasch in sein Institut für forensische Psychiatrie in Berlin-Lichterfelde gefahren, um den jüngsten Stand der Dinge um Jürgen Bartsch mit ihm zu besprechen. Bald nach dem Düsseldorfer Prozeß war das Ehepaar Rasch von Köln nach Berlin umgezogen, und wir waren Freunde geworden. Medizinisch hatte Prof.   Rasch auf Wunsch der Eltern Bartsch Jürgens Belange in die Hand genommen, und als offizieller Berater beim Justizminister Neuberger konnte er seinen Einfluß auf Jürgens Zukunft geltend machen.
    Zu Beginn dieses Gesprächs sagte ich: «Seit Monaten gibt es eine Art freundliches, unausgesprochenes Tauziehen zwischen uns. Sie meinen, daß Jürgen nach fünf Jahren Einzelhaft unbedingt wieder unter Menschen kommen muß, also in eine Heilanstalt. Es gibt aber nur sieben Landeskrankenhäuser in Nordrhein-Westfalen, und in nur einem von denen – in Düsseldorf-Grafenberg – gibt es die Möglichkeit einer psychoanalytischen Behandlung, und Sie und ich teilen die Meinung, daß das die geeignetste Behandlungsmethode für ihn ist. In Grafenberg können sie ihn aber nicht aufnehmen, weil sie keine sichere Abteilung haben, und außerdem hat Prof.   Schumacher gesagt, einer seiner Ärzte könnte Jürgen frühestens Anfang 1973, also erst in dreizehn Monaten, als Patienten annehmen. Mittlerweile müßte er weiterhin im Gefängnis bleiben, und Düsseldorf hat nur ein Untersuchungsgefängnis, wo sie ihn nicht behalten können. Der Direktor des Landeskrankenhauses in Düren hat zwar eine psychoanalytische Ausbildung, aber man hält es nicht für gut, daß Jürgen dort ‹vom Chef selber› behandelt würde, und andere Analytiker hat er nicht. Die anderen fünf Landeskrankenhäuser liegen in abgelegenen Gegenden, wo keine Analytiker wohnen. Wenn ich die Lage richtig verstehe, heißt das, um wieder unterMenschen zu kommen, müßte Jürgen in ein Landeskrankenhaus kommen ohne richtige Behandlung, und um analytische Therapie zu erhalten, müßte er irgendwo in einem Gefängnis in Einzelhaft bleiben, wo es einen bereitwilligen Therapeuten in der Gegend gibt.»
    Rasch lächelte und sagte: «Seien Sie doch nicht so pessimistisch. Vorläufig bleibt er noch im Untersuchungsgefängnis in Düsseldorf, bis ich eine richtige Lösung finde, und Frau Suhr behandelt ihn vorübergehend weiter.»
    «Klaus Hartmann», sagte ich, «hat sich prinzipiell bereit erklärt, Jürgen in Köln zu analysieren, wenn man ihn im Klingelpütz unterbringen könnte.»
    «In Köln würden sie ihn nicht aufnehmen, da sind ja nur Häftlinge mit kürzeren Strafzeiten. Außerdem würden ihn

Weitere Kostenlose Bücher