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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Mal auf’s Herzlichste gegrüßt von Deinem alten Findelkind
    Jürgen
     
    P.   S.   Meine Hungerkur halte ich weiter durch. Ich habe sie selbst erweitert. 79   Kilo hatte ich. Ich hoffe, daß ich bald auf 70 bin. Du darfst mir getrost den Titel «Hungerkünstler» verleihen.
    ***
     
     
    4771   Eickelborn, den 20.   6.   1973
     
    Mein bester Freund Paule!
    Ein Vertretungsarzt für Dr.   Teuber ist bis Mitte Juli hier. Er hat kein einziges Wort mit mir gesprochen. Bei der ersten Visite im Tagesraum sah er mich nicht einmal an. Für manchen Seelenarzt (ich habe nicht nur Freunde hier) scheint mein Anblick eine Qual zu sein. Ich kann solchem Menschen ja entgegenkommen. Das nächstemal schließe ich mich solange in der Toilette ein.
    Dr.   Teuber hat Psychologe Eibl gebeten, mich etwas zu betreuen, solange er, Teuber, im Urlaub ist. Eigentlich riesig nett. Er dachte dabei wohl (mit Recht) an mein Seelenheil. Zuerst machte Eibl also einen Intelligenz-Test. Von 116 auf 93 zurückgegangen. Ich war entsetzt. Er sagte, «Das kommt alles, weil Sie noch auf dieser Station sind. Die Persönlichkeit, die Intelligenz, der Verstand, alles wird eingeengt. Aber wir können Sie nicht verlegen in ein besseres Haus, obwohl es nötig und ich selber dafür wäre.» . (Eibl ist übrigens als Einzelperson strikt gegen die Kastration, aus redlichem Prinzip.)
    Ja, warum kann man nicht verlegen? Ich war zum zweiten Mal entsetzt. (Das dritte Mal brachte er mich zum Entsetzen, ER VERSTEHT SICH DARAUF, als er mir sagte, daß die Antiandrogenbehandlung einen Schwund des Penisvolumens mit sich bringt. Oh Paul, mein Gott nochmal!!)
    Eibl ist nicht sentimental, und so hatte die Unterredung, die kaum einen Funken Hoffnung für mich übrig ließ, den Charaktereines äußerst brutalen Belastungs-Interviews. Stell Dir lieber nicht vor, wie es bei mir jetzt in dem aussieht, was man allgemein als Seele bezeichnet. Chaos und Verzweiflung. Ich fühle mich mies, weil ich fast nur von mir geschrieben habe. Darum werde ich Dir auch erst im nächsten Brief schreiben, daß Gisela und ich im Laufe des nächsten Jahres heiraten werden. Teubers, Eibls, auch meiner Eltern Erlaubnis, alles ist vorhanden. Dies schreibt Dir also erst im nächsten Brief Dein bester Freund
    Jürgen
    ***
    [Das «sichere» Haus in Eickelborn, wo er wohnte, das sicherste der ganzen Anstalt, hatte vieles von einem Gefängnis an sich. Auf der folgenden Postkarte schreibt Jürgen zum erstenmal ernsthaft von Selbstmord als möglicher Lösung seiner Probleme. Die Fehlleistung der geschriebenen Datierung versetzt ihn um zehn Jahre zurück – in eine Zeit, als er siebzehn Jahre alt und noch frei war. Mittlerweile hatte sich der Hamburger Psychoanalytiker Dr.   Ulrich Ehebald bereit erklärt, Jürgen zu behandeln, wenn man das Problem der Verlegung und Unterbringung lösen könnte.]
     
    P.   S.   Vielen Dank für Deinen lieben Besuch.
     
     
    Eickelborn, 13/​7/​1963
     
    Lieber alter Freund Paule!
    Du wirst (ich bin anders nicht in der Lage) diese Karte für längere Zeit als «langen, ausführlichen Brief» betrachten müssen. Ich fühle mich stark deprimiert, seelisch völlig außer der Reihe, und halte mich (da der vegetativ sonst übliche Zusammenbruch ausblieb) in ziemlichem Maße für S.   – [Suizid?] verdächtig. Meine Gefühle bestehen fast nur aus Depressionen, Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Du selber wirst vielleicht in Deiner superanalytischen Art einwenden, ich reagiere spiegelverkehrt. Wieder mal.
    Es interessiert mich nicht, ob es so ist, ich weiß nur eines: daß ich sechs Jahre lang alle paar Monate von Knast zu Knast verschoben worden bin, oft lediglich deshalb, weil es Gutachter X oder Y so bequemer war, daß ich in Wuppertal und Duisburg-Hamborn tätlich angegriffen wurde (Bombardierung aus den Fenstern), daß es mehrere Analytiker gab, die erst «ja», dann «nein» sagten, jedesmal eine Enttäuschung für mich, daß mir in Köln gesagt wurde (wo ich auch ein nervenzerstörendes halbes Jahr durchmachte). Jede Verlegung ist also für mich mit Angst und Sorge verbunden.
    Außerdem, den Worten Dr.   Schnellers nach, MUSSTE ich entnehmen, daß hier keine Fachleute für «solche» Patienten seien. Das enttäuscht mich tief, und das wirst Du verstehen, lieber Paule. Es ging aus Dr.   Schnellers Worten aber auch hervor, daß ich, solange ich überhaupt in Eickelborn bin, aus diesem Hause nicht, niemals weitergefördert würde. Welcher Schock das

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