Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Meine Mutter wollte schon einmal fortlaufen. Einmal dachte sie an Scheidung und hat sogar einen Rechtsanwalt aufgesucht.» Die Beziehung zwischen seinen Eltern faßte er in dem ausdrucksvollen Satz zusammen: «Sie sind so nebeneinander durch die Zeiten gelaufen.»
Als der Richter fragte, welcher Elternteil dominierte, antwortete Jürgen: «Das Übergewicht hat meine Mutter. Mein Vater hat mal auf dem Bett gesessen und geheult. Meine Mutter hat auch manchmal mit Sachen geschmissen. Sie ist sehr, sehr sauber, sehr etepetete. Ich durfte nicht selber aussuchen, was ich jeden Tag tragen wollte. Sie holte die Kleider heraus und gab sie mir. Mein Vater hat mir mehrmals gesagt: ‹Du kannst dich nicht mal allein anziehen.› Meine Mutter hat mich bis zum Schluß ganz gebadet.» Man beachte das
ganz.
«Das Baden ging mir auf die Nerven mit der Zeit.»
Jürgens Feierabend bestand darin, daß er gebadet wurde, die Kleider im Schlafzimmer seiner Eltern wechselte (er hatte in seinem darüber gelegenen Zimmer weder Schrank noch Waschgelegenheit) und sich dann bis zur gewohnten frühen Schlafenszeit zum Fernsehen zwischen sie ins Ehebett legte. Seine späteren nächtlichen Exkursionen konnte er nur bewerkstelligen, indem er aus dem Kellerfenster schlüpfte und Kleider anzog, die er in einer Betonröhre in der Nähe versteckt hielt.
Jürgen beschrieb seinen Vater abwechselnd als «ein Arbeitstier» und einen «Feldwebeltyp». Er fand ihn «sehr laut». «Wenn wir Verwandte besuchten, machte er mich in ihrer Gegenwart herunter. Ich hatte zu keinem meiner Eltern Vertrauen.» Jürgen sagte ferner aus, daß er mit seinem Vater nur ein einziges Mal eine kurze Unterhaltung über sexuelle Angelegenheiten gehabt habe – und zu dieser Zeit war sein Gefühlsleben schon weit krankhafter, als sein Vater oder jemand anders hätte ahnen oder verstehen können. Im Juni 1961, als Jürgen vierzehn war, lockte er einen jüngeren Nachbarssohn in seine Höhle, verprügelte ihn, riß ihm die Kleider vom Leibe und zwang ihn zu sexuellem Spiel. Der Junge erzählte es seinem Vater, der nicht nur Jürgens Eltern zur Rede stellte, sondern auch zur Polizei ging. Jürgen leugnete alles, gestand jedoch später seinem Vater die Wahrheit. Die Polizeibeamten von Langenberg (damals 38 500 Einwohner) legten den Fall als Kinderunfug zu den Akten, während Herr Bartsch das Problem dadurch erledigte, daß er seinem Sohn sagte, es gäbe Ärzte, die man aufsuchen könnte – «aber ich hatte Angst. Mein Vater und ich paßten nicht gut zueinander.»
Mit dreizehn Jahren stieß Jürgen Bartsch zufällig auf seine Adoptionspapiere und erfuhr zum erstenmal die Wahrheit über seine Herkunft. Wie ein Zeuge berichtete, kam Jürgen zu ihm und sagte, er habe entdeckt, daß er «nicht der Sohn vom Alten» sei – ohne seine Mutter zu erwähnen. Er ging mit seinem verwirrenden neuen Wissen auch zu einer älteren Bekannten, die ihn davon zu überzeugen versuchte, daß das nichts ausmache. Im Verlaufe des ersten Prozesses war von einem Gespräch des Knaben mit seinen Adoptiveltern über dieses Thema nie die Rede; man erfuhr nicht einmal, ob ein solches je stattgefunden hatte.
Als der pubertäre Jürgen schließlich seine Hemmungen so weit überwunden hatte, sich den allerersten Sexualpartner seines Lebens zu suchen, war sein Trieb bereits auf Kinder gerichtet. Den Anfang machte Axel O., zehn Jahre alt, dem er auf seinem Zimmer in die Lederhose griff, womit es anscheinend sein Bewenden hatte: «Es war doch noch nicht so ernst.»
In seinem Buch
The Psychoanalytic Theory of Neurosis
schreibt Otto Fenichel über Pädophilie: «Kinder sind schwach und bleiben zugänglich, wenn andere Objekte durch Angst ausgeschlossen sind. (Freud sagte, Pädophilie sei die Perversion von ‹schwachen und impotenten› Menschen.) Aber eine Liebe für Kinder basiert meistens auf einer narzißtischen Objektwahl. Unbewußt sind die Patienten in sich selber als Kinder narzißtisch verliebt; sie behandeln ihre Kinder-Objekte entweder in derselben Weise, wie sie gerne behandelt worden wären, oder in der genau entgegengesetzten Weise.»
Nach dem kleinen Axel O. war es F., den Jürgen in den Bunker lockte. Der Trieb zu schneiden beherrschte schon Jürgens einsame Masturbationsphantasien; er hatte sich Rasierklingen «für fünfzig Pfennig aus dem Automat» besorgt. Während des Kampfes in der Höhle rief Jürgen: «Ich werde dich doch mit der Rasierklinge zerkleinern!» Bei der Verhandlung erklärte
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