Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders
Herausschneiden von Fleischstücken aus Gesäß und Schenkeln (an denen er roch) und den vergeblichen Versuch analen Geschlechtsverkehrs.
Später hat Jürgen das präzisiert: «Beim dritten Fall, habe ich im ersten Prozeß gesagt, es stimmte, daß ich neben dem toten Kind onaniert hätte, aber mit Vorbehalt habe ich das alles gesagt. Schon damals wußte ich das nicht mehr so richtig. Ich habe die Hose nur runtergelassen. Nur einmal, im Fall Frese, habe ich mich selbst ganz ausgezogen.»
In seiner eigenen, außerordentlich detaillierten Schilderung während der Voruntersuchung und in der Hauptverhandlung betonte Jürgen, daß er den Höhepunkt der geschlechtlichen Erregung nicht bei seiner Masturbation erreichte, sondern beim Schneiden des Fleisches, das ihn zu einer Art Dauerorgasmus brachte. Bei seinem vierten, letzten Mord gelang ihm schließlich, was ihm von jeher als höchstes Ziel vorgeschwebt hatte: Er band sein Opfer an einen Pfahl und schlachtete den schreienden zwölfjährigen Manfred Grassmann, ohne ihn vorher getötet zu haben.
Der italienische Mediziner Cesare Lombroso stellte 1876 als erster die Theorie des «geborenen» Verbrechers auf, aber die späteren Erkenntnisse der Psychologie und vor allem der Psychoanalyse haben sich weit von Lombroso entfernt. Die Soziologen versetzen den Ursprung der kriminellen Persönlichkeit in deren Umwelt, die Psychologen, Psychiater und Psychoanalytiker suchen die Ursachen in den Beziehungen innerhalb der Familie. Wenn man nicht an der antiquierten genetischen Theorie festhält, muß man mit der Tatsache beginnen, daß Jürgen Bartsch in dieses Tal der Tränen nicht als der psychopathische Mörder kam, zu dem seine Erlebnisse und seine Umwelt ihn machten. Er ist in keinem Elendsviertel aufgewachsen, und er war kein Schlüsselkind. Man muß daher zuerst einen Blick in das Heim der Familie Bartsch in Langenberg werfen, wie das Zusammenleben dort vonden drei Personen mit seiner verwirrenden Mischung von Intimität und Verschlossenheit individuell empfunden wurde.
Die erste von zahlreichen interessanten sprachlichen Formulierungen in beiden Bartsch-Prozessen war am Morgen des Eröffnungstages im ersten Prozeß zu hören, bald nachdem Jürgen Bartsch aufgestanden war und das Mikrophon in die Hand genommen hatte, um seine Geschichte zu erzählen: «Meine Eltern hatten immer ein klein wenig weniger als zu wenig Zeit für mich», sagte er. Er behauptete, seine Mutter sei immer ein «Bremsklotz» gewesen, wenn er ein bißchen Vergnügen haben wollte. Noch für den Neunzehnjährigen setzte die Mutter eine genaue Sperrstunde und geriet außer sich, wenn er auch nur fünf Minuten später nach Hause kam.
In einem Schlüsselsatz sagte er: «Ich kann mir nicht vorstellen, daß man bessere Eltern haben könnte» – dann fügte er hinzu: «aber Liebe habe ich von ihnen nicht bekommen.»
In der ersten Schule war Jürgen der Kleinste und wurde darum viel gehänselt. In der Adoleszenz kam er in die drakonisch strenge katholische Knabenschule in Marienhausen bei Bingen – ein Barockgebäude, halb Kloster, halb Herrenhaus. Die weitläufige feudale Anlage umfaßte auch einen Park und ein Freibad. Hier in diesem Don-Bosco-Heim gab es für Jürgen Bartsch und seine Mitschüler, so haben sie selber berichtet, obligatorische Morgen- und Abendmessen, striktes Schweigen («Silentium!») während der Mahlzeiten und häufige, manchmal willkürliche körperliche Züchtigungen. Jürgen hat dazu später geäußert: «Im ersten Prozeß hat der Vorsitzende meinem Vater gesagt: ‹Herr Bartsch, wie ist das gewesen, da im Heim in Marienhausen soll so viel geschlagen worden sein, da soll es so brutal gewesen sein.› Mein Vater hat geantwortet, wörtlich: ‹Na, schließlich ist er ja nicht totgeschlagen worden.› Das war eine deutliche Antwort.»
Als Dreizehnjähriger erkrankte Jürgen während eines Zeltlagers und bekam so hohes Fieber, daß einer der begleitenden Priester ihn auf sein Zimmer ins Gasthaus brachte und ihn in daszweite Bett legte. Als Jürgens Schüttelfrost nicht nachließ, nahm ihn der Priester in sein eigenes Bett, wo er «mich in die Arme schloß wie ein Vater oder eine Mutter». Nach weitergehenden Handlungen gefragt, sagte Jürgen mit merklichem Energieaufwand: «Regelrecht passiert ist nichts.» In der Liste der neununddreißig Zeugen, die während des Wuppertaler Prozesses aufgerufen werden sollten, fehlte der Name dieses Priesters. Erst in Jürgens Briefen an mich nach
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